Tod von Boris Jelzin:Versöhnliches am Ende der Zeit

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Boris Jelzin wird in Moskau nach Riten der orthodoxen Kirche beerdigt - und schafft es selbst im Tod, für ungewöhnliche Begegnungen zu sorgen.

Natürlich muss es auch ein Tag der Versöhnung sein. Michail Gorbatschow weiß das. Er ist in die Christi-Erlöser-Kathedrale gekommen, um seinem großen Widersacher Boris Jelzin die letzte Ehre zu erweisen. Länger als andere spendet er Naina Jelzina Trost, hält ihre Hand. Zum Schluss umarmt er die Witwe zaghaft und wendet sich danach an die Töchter. An den Repräsentanten des Staates, die am offenen und in eine russische Trikolore gehüllten Sarg versammelt sind, eilt Gorbatschow hingegen grußlos vorbei.

Das erste Mal seit dem Tod von Zar Alexander III. 1894 wird ein russisches Staatsoberhaupt nach den Riten der orthodoxen Kirche zu Grabe getragen. (Foto: Foto: dpa)

Die Aussöhnung mit den Toten ist eben leichter als mit den Lebenden. Kremlchef Wladimir Putin und seine Getreuen haben Gorbatschow oft genug durch Missachtung gedemütigt. Warum also sollte er nun Duma-Chef Boris Gryslow, Föderationsrats-Vorsteher Sergej Mironow oder Vize-Ministerpräsident Sergej Iwanow eines Blickes würdigen? Nur dem jungen Vize-Regierungschef Dmitrij Medwedew reicht Gorbatschow flüchtig die Hand.

Ein Loch im Asphalt

Es ist eine kleine Szene von vielen an diesem Tag. Die Trauerfeier für Boris Jelzin hat Vertreter nicht eines, sondern sehr unterschiedlicher Russlands in einer Kathedrale zusammengebracht. Vereinen kann die Zeremonie sie nicht. Da sind zum einen die alten Weggefährten Jelzins, die Männer der neunziger Jahre. Und da sind zum anderen die Bürokraten des neuen, des Putin-Russland.

"Es befinden sich die Mannschaften zweier Präsidenten in der Kathedrale, die Jelzins und die Putins", sagt ein russischer Fernsehreporter. Kurz vor Beginn der eigentlichen Trauerfeier erscheint dann der Mann, der zumindest formal dem im Sarg Liegenden seine Macht verdankt. Zur Jahrtausendwende hatte der kranke Jelzin Putin zu seinem Nachfolger gemacht - ob aus eigenem Antrieb, ist ungewiss. Auch Putin umarmt die Witwe, wechselt mit ihr einige Worte, bevor er mit seiner Frau Platz nimmt. Ob er Trauer empfindet, ist schwer zu ermessen; die historische Kraft des Augenblicks spürt er fraglos.

Das erste Mal seit dem Tod von Zar Alexander III. 1894 wird ein russisches Staatsoberhaupt nach den Riten der orthodoxen Kirche zu Grabe getragen. Abschied von den sowjetischen Staats- und Parteiführern nahmen die Menschen nicht in einer Kirche, sondern im Haus der Gewerkschaften. Auch der KP-Funktionär Jelzin war, obschon getauft, nicht als religiöser Mensch herangewachsen.

"Zum echten Christen gereift"

Sein Verhältnis zur Kirche blieb stets schwierig, wenngleich er es gewesen war, der die Wiedererrichtung der von den Kommunisten zerstörten Christ-Erlöser-Kathedrale verfügt hatte. Vor der Trauerfeier in eben jener Kathedrale war es dem Patriarchat wichtig gewesen, Jelzin als wahrhaft glaubenden Menschen darzustellen. Eine Urlaubsreise nach Jordanien sei, so stellt es die Kirche nun dar, für Jelzin wenige Wochen vor dem Tod zu einer Pilgerfahrt zur Stätte der Taufe Christi geworden.

Jelzin sei zum echten Christen gereift, hatte der Patriarch Alexij II. vor der Trauerfeier erklärt. Bei der Zeremonie aber lässt er sich entschuldigen. Zelebriert wird die Messe vom Metropoliten Juwenalij, dem ältesten Mitglied der Synode. Er verliest eine Erklärung des Patriarchen, die den geschäftsmäßigen und etwas verräterischen Satz enthält: "Unsere Treffen waren immer freundlich, offen und konstruktiv."

Schließlich zünden die Priester Kerzen an. Auch die Trauergäste erhalten welche, George Bush senior zum Beispiel und Bill Clinton. Viele frühere und amtierende Staatsoberhäupter sind gekommen, unter ihnen auch Bundespräsident Horst Köhler. Das scheint mehr als angemessen, war Jelzin doch der Mann, der einst unblutig die Sowjetunion zu Grabe trug.

Es sind viele, die den Weg des Trauerzuges zum Neujungfrauen-Friedhof säumen. Schon am Vorabend hatten sich Zehntausende in eine lange Schlange gereiht, um in der Kathedrale Abschied zu nehmen. "In letzter Zeit wurde uns nur Schlechtes über Jelzin erzählt. Doch er wird in Erinnerung bleiben als der Mann, der den Russen die Welt und der Welt Russland eröffnet hat", sagt der Radiojournalist Alexej Wenediktow. Er zählt zu jenen, die die von einem Schützenpanzerwagen gezogene Lafette mit dem Sarg bis zum Friedhof begleiten.

Am Hauptweg, mitten im Asphalt, ist hier ein Loch gegraben worden, um Boris Jelzin an prominenter Stelle zu begraben, wie es dieFamilie wünschte. Als Naina zum Abschied das Gesicht ihres Mannes streichelt, stehen Wladimir Putin, der frühere KGB-Mann, und Lech Walesa, der frühere antikommunistische Arbeiterführer und Präsident Polens, nebeneinander. Das wirkt versöhnlich.

© SZ vom 26. April 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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