Tod im Jugendgefängnis Siegburg:Notrufe, die zu spät gehört wurden

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Es ist ein grausamer Fall, der ab heute vor dem Landgericht Bonn verhandelt wird. Drei junge Häftlinge missbrauchten und töteten im November 2006 in Siegburg einen Mitgefangenen. Seitdem wird vor allem mehr Schutz und Betreuung gefordert.

Dirk Graalmann

Im August 2002 stattete der damalige nordrhein-westfälische Justizminister Jochen Dieckmann (SPD) der Justizvollzugsanstalt Siegburg einen Besuch ab. Er zeigte sich offenbar beeindruckt vom Reintegrationskonzept der Anstalt, von den guten Therapiemöglichkeiten. Auch zum Thema Überbelegung wurde Dieckmann anschließend zitiert: "Es ist nicht so dramatisch, auch wenn es nach wie vor sehr voll ist."

Vier Jahre danach war es zu spät. Am 11. November 2006 wurde der 20-jährige Hermann H. in der JVA Siegburg von seinen drei Mitinsassen über Stunden bestialisch gefoltert, vergewaltigt und schließlich aus Mordlust getötet. Gegen die weitgehend geständigen Täter im Alter von 17 bis 20 Jahren beginnt an diesem Mittwoch vor dem Bonner Landgericht der Prozess. Das Ermittlungsverfahren gegen fünf Bedienstete der JVA Siegburg dagegen wurde inzwischen eingestellt.

Doch die politische Debatte entbrannte umso heftiger. Sie gipfelte auf Antrag der SPD-Fraktion in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der derzeit seine Arbeit verrichtet. Offenkundiges Ziel: der Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) eine persönliche Verantwortung nachzuweisen. Schon im November 2006 hatte die SPD-Opposition ihren Rücktritt gefordert.

Denn der Gewaltexzess hat auch eine Debatte über die Verantwortung des Staates mit sich gebracht: über die Haftbedingungen, die Personalausstattung, die generelle Ausrichtung des Jugendstrafvollzuges. Die Situation ist prekär. Die Haftanstalten sind schon seit vielen Jahren überlastet, zum Tatzeitpunkt wurde für die Jugendabteilung in Siegburg zum Beispiel eine Überbelegung von 16 Prozent festgestellt.

In den vier anderen Jugendanstalten Nordrhein-Westfalens sieht es nicht besser aus. Das Personal ist knapp bemessen, die Aufsicht entsprechend mangelhaft. Niemand in der JVA Siegburg etwa hatte adäquat auf die Notrufe von Hermann H. reagiert. Er starb qualvoll in der Obhut des Staates.

Verstärkte Kontrollen

In NRW ist seitdem einiges passiert: Noch im November legte Müller-Piepenkötter ihre Sofortmaßnahmen vor. Die Dreier- und Viererbelegungen wurden aufgelöst, die Kapazitäten insgesamt im Jugendvollzug ausgeweitet. Dazu trägt bald auch der Neubau einer Anstalt in Wuppertal mit 500 Haftplätzen bei, die 2009 eröffnet wird.

Weiterhin wurden die Kontrollen der Hafträume, insbesondere am Wochenende, verstärkt. In diesem Zuge wurden nach Angaben des Ministeriums bereits 80 zusätzliche Stellen geschaffen, für Wuppertal sind weitere 250 Stellen geplant. Zudem gibt es nun in NRW die Stelle eines "Ombudsmannes", der als unabhängiger Ansprechpartner für Gefangene dienen soll.

Bereits im Frühjahr 2006 hatte Müller-Piepenkötter eine empirische Studie zur Gewalt unter Gefangenen in Auftrag gegeben - deren Ergebnisse flossen später in das Gutachten einer extra eingesetzten Kommission zur "Gewaltprävention im Strafvollzug Nordrhein-Westfalen" ein.

Das fünfköpfige Gremium unter Leitung des früheren Berliner Innensenators Eckart Werthebach (CDU) legte in der vergangenen Woche seinen 132-seitigen Schlussbericht vor. Wesentlich neue Erkenntnisse gibt das Gutachten aber nicht her. Mehr Plätze, mehr Personal allein dürfte nicht reichen. "Ein more of the same kann nicht der Königsweg sein", heißt es in der ersten Studie.

In Siegburg wird man für die Jugendlichen nicht mehr lange nach Lösungen suchen. Die Abteilung wird geschlossen. Die Probleme aber bleiben.

© SZ vom 1.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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