Tod Benno Ohnesorgs:"Die Polizisten haben geprügelt wie blöd"

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SZ: In der Nacht zum 3. Juni 1967 glaubten die Studenten im Berliner Zentrum des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), das Ende der Außerparlamentarischen Opposition stehe bevor. Die spätere RAF-Terroristin Gudrun Ensslin schrie: "Gewalt kann nur mit Gegengewalt beantwortet werden. Dies ist die Generation von Auschwitz. Mit denen kann man nicht argumentieren." Wie sahen Sie die Gewaltfrage?

Hausmann: In meinen Kreisen hat sich die Gewaltfrage da noch nicht gestellt. Das Versagen der Justiz führte später zur Radikalisierung. Wenn Kurras verurteilt worden wäre, wäre ich beruhigter gewesen. Aber für mich hat sich die Frage nach individueller Gewalt eh nie gestellt. Es war etwas anderes, auf Demos Absperrungen zu durchbrechen als wie die RAF und "Bewegung 2. Juni" Gewalt zum Emblem zu erheben.

SZ: Wie engagierten Sie sich in der folgenden Zeit politisch?

Hausmann: Ich trat in den SDS ein. Danach in die "Liga gegen den Imperialismus", die sich mit Problemen der Dritten Welt befasste. Alles, was wir damals an Analysen erarbeitet haben, war sehr vernünftig. Es gab Kuba, Che Guevara und sehr viele Hoffnungen. Die sind alle enttäuscht worden. Ich war auch zu naiv. Ich habe vehement Mao Zedongs Kulturrevolution verteidigt. Seit ich in China war, sehe ich das anders. Heute versuche ich, vernünftige Sachen zu machen. Schreiben, Übersetzen, Unterrichten sowie Engagement in der Flüchtlingshilfe und in Patenschaften.

SZ: Nach Ihrem Studium wurden Sie als Lehrerin nicht eingestellt - wegen Ihrer "Liga gegen den Imperialismus"-Mitgliedschaft und weil das Nummernschild Ihres Autos nahe verbotenen Demonstrationen notiert worden war.

Hausmann: Ich wollte Referendarin in Stuttgart werden, durfte aber nicht. In Hessen ging das, die Computer waren noch nicht gut genug vernetzt. Vor dem Zweiten Staatsexamen wurde mir aber gesagt: "Angestellt werden Sie sicher nicht." Im Nachhinein bin ich froh: Mein ganzes Leben lang Lehrerin sein, das wäre furchtbar geworden.

SZ: 1977 gingen Sie nach Italien - im Deutschen Herbst. Wie erlebten Sie, dass ehemalige Mitstreiter zu Mördern wurden?

Hausmann: Was ich politisch wollte, hatte nichts mit der RAF zu tun. Die Hysterie des Staates habe ich aber genauso wenig verstanden. Nach Italien ging ich, um auszusteigen. Später merkte ich, dass das keine Lösung ist.

SZ: 1984 kamen Sie zurück nach München. Waren Sie mit dem deutschen Staat inzwischen versöhnt?

Hausmann: In Deutschland hat sich zwischen 1977 und 1984 wahnsinnig viel zum Positiven verändert. Das hat auch mit der Studentenbewegung und der daraus resultierenden Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu tun. Protest ist heute etwas Selbstverständliches.

SZ: Beim G-8-Gipfel in Genua wurde im Juli 2001 ein Demonstrant von einem Polizisten erschossen. Einige Beobachter zogen Parallelen zum 2. Juni 1967.

Hausmann: Für mich ist die globalisierungskritische Bewegung nicht mit der Studentenbewegung zu vergleichen. Ich beobachte sie aber mit großem Interesse und finde sie grundsätzlich richtig.

SZ: Wie denken Sie über die mit Terrorismus-Verdacht begründeten Razzien bei Gegnern des G-8-Gipfels?

Hausmann: Dieses Vorgehen erinnert mich an die Leberwursttaktik der Berliner Polizei 1967, alles schon vorher zu kriminalisieren. Der in Heiligendamm geplante Zaun ist eine ungeheure Provokation. Ich bewundere alle, die zum G-8-Gipfel fahren, um ihren Protest lautstark, aber friedlich zu formulieren.

SZ: Eine weitere große Debatte wurde über das Gnadengesuch von Christian Klar geführt. Wie haben Sie die Diskussion wahrgenommen?

Hausmann: Es wird im Nachhinein noch mal versucht, die gesamte Studentenbewegung zu diffamieren. Auf Christian Klar ist das Gesetzbuch anzuwenden. Von Reue steht da nichts. Der Bundespräsident hat sich von dem Druck, unter den er gesetzt wurde, beeinflussen lassen. Da wird die Demokratie beschädigt. Das empört mich heute noch.

SZ: Seit 1990 steht vor der Deutschen Oper ein Mahnmal für Ohnesorg. Waren Sie noch einmal dort?

Hausmann: Ja, ich fand das Mahnmal scheußlich. Ohnehin habe ich mich dort total distanziert gefühlt. Mir fiel auf, dass ich seit dem 2. Juni 1967 nicht mehr dort war. Irgendwie habe ich immer versucht, das Thema von mir fernzuhalten.

SZ: Hat Sie dieser Moment verändert?

Hausmann: Ja, das hat er. Ich habe mich politisch in einer Weise radikalisiert, die mir gar nicht entspricht. Später habe ich erkannt, dass das nicht mein Weg ist.

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