Thomas-Mann-Haus:Was Amerika einmal war

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Auswärtige Kulturpolitik ist wichtiger denn je. Doch das ist keine gute Nachricht - in Zeiten, in denen man sich nur noch an die Werte erinnern kann, die Amerika einmal für Deutschland symbolisiert hat und Politik nur noch Konfrontation ist.

Von Sonja Zekri

Es ist eine Nachricht, die große Freude auslöst und ebenso große Bitterkeit. Deutschland hat das Thomas-Mann-Haus im kalifornischen Pacific Palisades gekauft, nach Meinung von Manns Frau Katia das schönste Haus, in dem die Schriftsteller-Familie je lebte, eine Zuflucht für jene deutschen Denker, die vor Hitler geflohen waren, die gegen Hitler aus dem Exil anschrieben: Theodor Adorno, Lion Feuchtwanger.

Von hier aus donnerte Thomas Mann in seinen BBC-Reden an die "Deutschen Hörer" über die "Diktatur des Gesindels". Die Villa, die Außenminister Frank-Walter Steinmeier das "Weiße Haus des Exils" nannte, ist fast bis zur Unkenntlichkeit umgebaut. Nun hat sie der deutsche Staat für insgesamt knapp 14 Millionen Dollar gekauft und will deutschen und amerikanischen Intellektuellen einen Raum für Gespräche und Austausch geben über die Themen der Zeit: Demokratie, Nation, Ökonomie. Ob eines Tages das Feuchtwanger-Archiv in diesen Räumen untergebracht wird mit den Nachlässen von Heinrich Mann und Ludwig Marcuse, das ebenfalls in Kalifornien liegt und dort als Bekenntnis zur Leistung und zur Botschaft der Exilanten auch bleiben sollte -, wäre eine der nächsten Fragen. Doch zunächst ist alles dies ein Grund zur Freude.

Unendlich bedrückend aber wird dieser Kauf, weil er noch einmal daran erinnert, was Amerika einmal war, welche Werte es gerade für Deutschland symbolisierte, als dieses sich auf verbrecherische Weise von der Menschen- und Staatengemeinschaft losgesagt hatte: die freie Rede, die Achtung vor intellektuellen und künstlerischen Positionen, das Versprechen einer Wertegemeinschaft, die prinzipiell offen gegenüber jenen ist, die sich ihr anschließen wollen.

Dieses Amerika ist nicht über Nacht verschwunden, sondern im Laufe von Jahrzehnten, und zum guten Teil war es sicherlich schon damals weich gezeichnet. Für die Manns und die Feuchtwangers aber waren die USA trotz allem natürlicher, letzter Rückzugsort in der feindlichen Welt. Das ist Amerika schon lange nicht mehr, und heute, wo auch Künstler zwischen Aufruhr und Resignation hin- und hergerissen sind, ist es das weniger denn je.

Insofern dürfte sich Außenminister Steinmeier mit seinem utilitaristischen Kulturbegriff auf ganzer Linie bestätigt sehen: Wenn die Politik nur noch Konfrontation ist und die Wirtschaft keine gemeinsamen Interessen mehr findet, dann sollen Schriftsteller, Künstler, Musiker jenes Gespräch fortführen, das sich - so offenbar die Steinmeier'sche Überzeugung - in einer Sphäre über oder jenseits der umstrittenen Punkte führen lässt. Als wäre nicht oft um kulturelle Unterschiede besonders verbissen gestritten worden, als sei dies ein Bereich, der sich der Verankerung in der Gesellschaft auf wundersame Weise entzieht. Doch das nur am Rande.

Was Steinmeier ganz sicher nicht absehen konnte, war die Tatsache, dass diese Art von kulturellem Notfallprogramm inzwischen auch in Ländern ins Spiel kommt, an die man früher nie gedacht hätte. Vor einigen Jahren standen die Goethe-Institute in Europa in der Debatte. Brauchte man sie noch? War es nicht vorausschauender und friedensstiftender, ein Goethe-Institut in Kabul zu eröffnen, als eines in Palermo oder Kopenhagen zu unterhalten? So sicher war sich Europa damals, dass es vor allem geboten erschien, seine Werte in die Welt zu tragen. Die Selbstvergewisserung, der Austausch über Gemeinsamkeiten innerhalb des Kontinentes wirkte damals schon fast wie ein Luxus.

Auswärtige Kulturpolitik ist wichtiger denn je. Nur ist das keine gute Nachricht.

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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