"Think Tanks" und die amerikanische Politik:Der Krieg der Denker

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Ideenfabriken mischen sich in den Wahlkampf ein und buhlen um die Gunst des US-Präsidenten und seines Herausforderers. Von ihnen übernahm Bush den Begriff der "Die Achse des Bösen" und sie entwerfen auch Kerrys Wirtschaftspolitik.

Von Tobias Matern

Der Begriff "Achse des Bösen" stammt aus seiner Feder. David Frum, Redenschreiber von George Bush, gilt als geistiger Urheber des Schlagwortes, mit dem der US-Präsident im Januar 2002 den Irak, Iran und Nordkorea brandmarkte.

Reden, Hände schütteln, und das Ganze von vorne: Präsident Bush im Wahlkampf. (Foto: Foto: AP)

Frum war aus einer Denkfabrik ins Weiße Haus gewechselt; kurz nach der "Achsen"-Idee kehrte er in die Welt der Polit-Lobbyisten zurück. Auch der Ausdruck "preemptive wars" für vorbeugende Militäreinsätze stammt von einer der mächtigen Einflussgruppen, die neue Strategien für die Politik erarbeiten sollen. Bush übernahm dieses Konzept - genauso wie den "mitfühlenden Konservatismus", ein Begriff, der ebenfalls aus einer Denkfabrik kommt.

Brutstätte für Ideen

Diese Brutstätten von Ideen heißen in den USA "Think Tanks", und ihre wichtigste Aufgabe ist es, auf die Politiker einzuwirken. Allein in Washington arbeiten mehr als einhundert solcher Institute, Stiftungen und Projekte. Ihr Einfluss ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, doch zurzeit schwillt der vielstimmige Lobbyisten-Chor besonders stark an.

Schließlich entscheiden die Wähler am 2. November darüber, ob George Bush oder der demokratische Herausforderer John Kerry das Land vom Weißen Haus aus lenken wird. Und so positionieren sich einige der Denkfabriken deutlicher als bisher.

Die Politik-Flüsterer

"In einem Wahljahr ändern sie ihre Strategie", sagt der Politologe Andrew Rich, der ein Buch über die Macht der Think Tanks geschrieben hat. Viele bemühten sich nun "verstärkt um direkten Zugang zu den Wahlkampfteams". Zum Beispiel die Brookings Institution. Sie wird von Strobe Talbott geleitet, dem ehemaligen Vize-Außenminister der Clinton-Regierung.

"Wo stehen die Präsidentschaftskandidaten?" fragen seine Analysten in einer Studie, und ihre Antwort ist eindeutig: Kerry ist lange nicht so linksliberal, wie ihn die Republikaner abstempeln. Bush hingegen ist wesentlich "extremer" als seine eigene Partei - und Vize-Präsident Dick Cheney so konservativ, dass er meilenweit von der politischen Mitte entfernt ist.

Nicht nur mit solchen Veröffentlichungen empfehlen sich die Autoren sogar selber für Ämter in einer Kerry-Regierung. In Lael Brainard und Peter Orszag sitzen nach einem Bericht der Washington Post mindestens zwei Brookings-Experten mit am Tisch, wenn Kerrys Wahlkampf-Team knackige Thesen für eine neue Wirtschaftspolitik formuliert. Und Susan Rice, die ebenfalls aus dem Hause Brookings kommt, ist eine der wichtigsten Kerry-Einflüsterer; sie könnte sogar bei einem Machtwechsel Condoleezza Rice als nationale Sicherheitsberaterin beerben.

Anders als etwa der Kanzler nach einer Bundestagswahl bestimmt ein amerikanischer Präsident nach einem Machtwechsel nicht nur, wen er in sein Kabinett und seinen engsten Beraterstab aufnimmt. Er tauscht auch im Verwaltungsapparat Tausende von Mitarbeitern aus. Da Bush wohl auf sein jetziges Personal zurückgreifen würde, ist Herausforderer Kerry für ehrgeizige Bewerber aus den Think Tanks besonders verlockend.

Kreuzritter der Revolution

Pressesprecher Patrick Gavin bestreitet, dass Brookings einseitig für John Kerry Partei ergreife. "Ich könnte mir vorstellen, dass ein paar unserer Experten zumindest privat auch mit den Leuten aus Bushs Wahlkampfteam sprechen", sagt er. "Wir wollen Einfluss auf die Gestaltung von Politik nehmen, aber unsere Mitarbeiter machen ihre eigene, unabhängige Forschung."

Anders die Heritage Foundation. Sie will gar nicht "unabhängig" sein, und daraus macht sie auch keinen Hehl. Ausgestattet mit dem höchsten Budget aller Think-Tanks - mehr als 30 Millionen Dollar an Spenden pro Jahr - verstehen sich ihre Mitarbeiter als Kreuzritter einer konservativen Revolution.

"Wir arbeiten nicht für die Erhaltung des Status Quo. Wir sind Radikale, welche die Machtstrukturen des Landes umstürzen wollen", hat Paul Weyrich, einer der Gründer von Heritage, vor Jahren einmal als Maxime ausgegeben. Weniger Staat, niedrigere Steuern, aber mehr Geld für die nationale Sicherheit - das sind die Kernanliegen der Denkfabrik, die das halbe Regierungsprogramm für Ronald Reagan schrieb.

Mit ihren Vorstellungen steht die Heritage Foundation der Bush-Regierung näher als den Demokraten. Aber der Institution geht es eher um Ideologie als um Parteipolitik. "Heritage ist der Bannerträger der konservativen Bewegung", sagt der Referent eines republikanischen Senators. "Die Bush-Regierung ist im Laufe der Legislaturperiode immer weiter nach rechts gedriftet. Das ist sehr zur Freude der Heritage Foundation geschehen, die das zum Teil mit beeinflusst hat", fügt er an.

Tipps für die Abstimmung

Von den 200 Heritage-Mitarbeitern beschäftigen sich 14 Spezialisten für Öffentlichkeitsarbeit damit, die hauseigenen Experten in den Medien unterzubringen. Mit Erfolg. Die führenden Zeitungen erwähnten Heritage im vergangenen Jahr mehr als 40 Mal - pro Woche, versteht sich. Auf Amerikas meist gesehenem Nachrichtenkanal "Fox News" sind die Heritage-Kommentatoren ohnehin Stammgäste, die ihre "Forschungsberichte" präsentieren.

Für den liberalen Autor Eric Altermann sind Brookings und Heritage Gegensätze wie Tag und Nacht. "Die Forschung, die Heritage betreibt, ist von Ideologie korrumpierte Meinungsmache", sagt er. Grundsätzlich widerspricht ihm der Präsident der Denkfabrik nicht einmal.

"Wir betreiben Kriegsführung im Kampf der Ideen", definiert Edwin Feulner die Mission seines Think Tanks. 30 verschiedene Politikbereiche, von "Arbeitsmarkt" über "Gesundheitswesen" bis hin zu "Internationale Organisationen" lässt Heritage von 65 Analysten durchleuchten. Diese Vorgehensweise ist bei allen Denkfabriken ähnlich.

Nur die "aggressive Vermarktung der Heritage-Ideen" wie Politologe Rich es nennt, ist einzigartig. Täglich erscheinen Thesenpapiere, die griffige Titel tragen wie "So werden wir unsere Staatseisenbahn los" oder "Warum der Kongress feministische Kritik an der Ehe ignorieren sollte". Auch lange nachdem die Welt eingesehen hat, dass es wohl keine enge Verbindung zwischen dem Irak und den Anschlägen vom 11. September 2001 gab, lässt Heritage seine Experten öffentlich über "Die Verbindung: Wie al-Qaidas Zusammenarbeit mit Saddam Hussein Amerika gefährdet hat" diskutieren.

"Besorgnis erregender Erfolg"

Steht ein Gesetz im Kongress kurz vor der Abstimmung, werden die Abgeordneten mit kurzen Hintergrund-Papieren der Heritage Foundation und Tipps zum Abstimmungsverhalten versorgt. "Heritage leistet sehr ausgeklügelte Arbeit, indem die Mitarbeiter ihre Sicht der Dinge dem Kongress und der Regierung schnell zugänglich machen. Die anderen Think Tanks haben diese Strategie inzwischen bei Heritage abgeschaut", sagt der Senatoren-Referent.

Für Rich ist der Erfolg der Denkfabriken "Besorgnis erregend." Denn durch ihren Siegeszug spiele wissenschaftliche Politikberatung aus Universitäten fast keine Rolle mehr. Forschung, die sich um Unvoreingenommenheit bemüht und keine missionarische Absicht verfolgt, "wird nicht mehr so recht gewürdigt".

© SZ vom 7.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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