Terrorismus:Die Hassprediger von Britannistan

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Wie Spanien war auch Großbritannien bis zu den Anschlägen vom 11. September ein Gebiet, in dem Islamisten relativ unbehelligt agieren konnten. Seit Jahren ist die britische Hauptstadt Sammelpunkt für radikale Islamisten und ihre wachsende Anhängerschaft.

Von Nicolas Richter

Keine Terrorgruppe dieser Welt legt so viel Wert auf die Inszenierung des Horrors wie al-Qaida. Das Muster, das die Gefolgsleute von Osama bin Laden erfunden und immer weiter perfektioniert haben, ist so sehr zum Markenzeichen der Islamisten geworden, dass es keines Bekennerschreibens mehr bedarf.

Der Londoner Hassprediger Abu Hamza. (Foto: Foto: AFP)

Wie schon am 11. September 2001 in New York und am 11. März 2004 in Madrid wurden am Donnerstag in London mehrere Ziele fast gleichzeitig getroffen - und es muss den Tätern ein Vergnügen gewesen sein, die Verwirrung in den angegriffenen Städten zu beobachten.

Ein Flugzeug schlägt im World Trade Center ein, ein Vorortzug explodiert in Madrid, im Londoner Untergrund quillt Rauch - zunächst wirkt es immer wie ein Unfall, wie ein vereinzeltes, zufälliges Ereignis. Doch dann folgen sehr bald weitere, und dann ist schnell klar, dass dies wieder ein Tag des Terrors sein wird.

Warnungen an Italien und Dänemark

In London war das klar, als der Bus zerrissen wurde. Es gab keine technische Verbindung zur U-Bahn, es konnte nicht am Stromnetz liegen. Vielmehr offenbarte sich, was Experten schon jahrelang vorausgesagt hatten: Al-Qaida hat in London zugeschlagen.

Wie schon nach den Anschlägen von Madrid tauchte auch am Donnerstag ein Bekennerschreiben auf: Im Internet erklärte "al-Qaida in Europa", die Anschläge sollten die "Kreuzfahrer-Regierung" Großbritanniens wegen ihres Truppeneinsatzes in Afghanistan und im Irak bestrafen.

Warnungen gingen auch an die US-Verbündeten Italien und Dänemark, und wie üblich war von "heldenhaften Gotteskriegern" die Rede.

Unklar blieb, ob die Erklärung tatsächlich von al-Qaida stammte. Allerdings ist derzeit keine andere Organisation bekannt, die in der Lage wäre, eine logistisch solch komplizierte Operation wie die in London derart präzise auszuführen.

Das muss nicht heißen, dass der Befehl für den Terrorakt von der Al-Qaida-Spitze um Osama bin Laden und Aiman al-Sawahiri ausgegangen ist. Denn das Wissen, das al-Qaida in seinen afghanischen Trainingslagern bis zum Jahr 2001 vermittelte, hat sich längst weltweit verbreitet.

Zehntausende haben gelernt, wie man einen Sprengsatz baut, wie man sich diskret und scheinbar angepasst in einer westlichen Gesellschaft verhält, um die Tat vorzubereiten, und wie man zu seinen Komplizen Kontakt hält, ohne dass die Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden geweckt wird.

Es fehlt auch nicht an Nachwuchs, der diese Lehren des Terrors aufnehmen könnte. Es gibt genug junge Immigranten, die mehr Reiz in Racheakten am "Westen" erkennen, als an dem bescheidenen Dasein in einer als nicht besonders integrationsfreudig empfundenen Gesellschaft.

Mit den Terroranschlägen von Madrid wurde deutlich, dass die Islamisten ihre Strategie insoweit verfeinert hatten, als sie damit ganz gezielt Wahlen und damit wiederum politische Folgeentscheidungen beeinflussen wollten.

Die Strategie

Im März 2004 machte bei den deutschen Sicherheitsbehörden ein Strategiepapier die Runde, das in Islamistenkreisen aufgetaucht war und das sehr konkrete Aussagen zur beabsichtigten Wirkung des Terrors formulierte. "Wir denken, dass die spanische Regierung weder zwei noch drei Angriffe erträgt, damit sie zum Rückzug gezwungen wird auf Grund des Volkesdrucks auf sie.

Blieben ihre Truppen nach diesen Angriffen (im Irak, d. Red.), wird der Sieg der sozialistischen Partei in Kürze garantiert sein und wird der Rückzug der spanischen Truppen auf der Liste der Wahlvorhaben stehen", hieß es in dem Dokument. In diesem Papier wurden zwar Anschläge gegen spanische Truppen im Irak angeregt, aber die tatsächlichen Anschläge in der spanischen Hauptstadt trafen das Land dann noch viel härter - und fegten die Konservativen aus der Regierung.

Großbritannien, das im Irak-Krieg noch enger und engagierter an der Seite der USA stand als Spanien, gilt deswegen schon lange als wahrscheinliches Ziel der Islamisten. Wie Aznar in Spanien ist auch Blair gegen den Willen der Mehrheit in seinem Land in den Irak-Krieg gezogen, und es lässt sich darüber spekulieren, wie die jüngste Parlamentswahl ausgegangen wäre, hätte sich der Terror vor der Abstimmung ereignet.

Angst und Schrecken

Wie Spanien war auch Großbritannien bis zu den Anschlägen vom 11. September ein Gebiet, in dem Islamisten relativ unbehelligt agieren konnten. Beispielhaft ist die Biografie des Extremisten Abu Hamsa el-Masri, der in London über Jahre hinweg Hass und Gewalt predigte.

Wie so viele andere Islamisten war er mit harmlosen Absichten in den Westen gekommen, studierte zunächst und heiratete eine Einheimische. Doch mit der Zeit wurden seine religiösen Ansichten immer extremer, er trieb sich in Afghanistan und Bosnien herum und wurde Ende der neunziger Jahre Prediger der berüchtigten Finsbury-Park-Moschee in London, in der Hunderte Männer dazu ermuntert wurden, in den so genannten Heiligen Krieg zu ziehen.

Unter ihnen soll auch der spätere "Schuhbomber" Richard Reid gewesen sein, der ein Flugzeug sprengen wollte, sowie Zacarias Moussaoui, der im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September als verhinderter Kamikaze-Pilot unter Anklage steht. Moussaouis Bruder Abd Samad berichtete, er habe seinen ursprünglich friedlichen Bruder nach dessen Aufenthalten in London kaum noch wiedererkannt.

Die britischen Behörden unternahmen gegen die Islamisten so gut wie nichts, obwohl die Hauptstadt unter Anspielung auf Afghanistan oftmals schon "Londonistan" genannt wurde. Es gab über Jahre eine Art informelles, gegenseitiges Stillhalteabkommen - die Sicherheitsbehörden ließen die Islamisten weitgehend in Ruhe, dafür hielten diese still, solange sie sich auf der Insel befanden. Erst nach dem 11.September änderte sich das.

Blair wurde der engste Verbündete des amerikanischen Präsidenten im weltweiten Kampf gegen den Terrorismus, und irgendwann wurde dann auch der radikale Prediger Abu Hamsa festgenommen. Die Anschläge von London galten also höchstwahrscheinlich der britischen Regierung.

Die Symbolik zählt

Dass der Terror dagegen mit der Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees vom Mittwoch zu tun hat, wonach London im Jahr 2012 die Olympischen Sommerspiele austrägt, ist nach bisherigen Erkenntnissen weniger wahrscheinlich.

Al-Qaida und jenen Gruppen, die von ihr inspiriert wurden, kam es bei Terroranschlägen immer auf die Symbolik an. Am 11. September trafen Flugzeuge die politischen und wirtschaftlichen Zentren Amerikas, nun sind nach und nach die Verbündeten an der Reihe.

Immer gilt der Terror weichen Zielen, Zivilisten im Alltagsleben also, wo die Täter mit geringem Einsatz einen möglichst großen Schaden anrichten. Dass der Westen durch solche Aktionen militärisch nicht zu besiegen ist, wissen die islamistischen Strategen - allen voran der Bin-Laden-Vertraute Sawahiri.

Wichtiger ist es Männern wie ihm, mit Terror Stimmung zu machen. Er will im Westen Angst und Schrecken verbreiten und so die Regierungen davon abhalten, sich in die Angelegenheiten der islamischen Welt einzumischen. Aber auf Stimmungsmache kommt es al-Qaida auch im Nahen Osten an.

Dort hat Sawahiri lange erfolglos versucht, mit Terror die ägyptische Regierung zu stürzen. Nachdem er damit gescheitert war, schloss er sich bin Laden an und erklärte den "Dschihad" zu einer globalen Angelegenheit. Anschläge im Westen sollen die islamische Welt begeistern und den Extremisten einen stetig wachsenden Zulauf sichern.

© SZ vom 8.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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