Terror-Verdächtige:Auffallend unauffällig

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Woran erkennt man einen islamistischen Terroristen? Anhand von 20 Punkten eines "Verdachtschöpfungs-Rasters" sollen Streifenpolizisten feststellen, ob sie es mit einem möglichen Attentäter zu tun haben. Nun rollt die neue Rasterfahndung an.

Von Annette Ramelsberger

Wenn ein junger Tunesier in einem Elektronikmarkt einen Flugsimulator kauft und auch noch fragt, ob der wie im wirklichen Leben arbeitet, dann funktionieren alle Sicherheits-Reflexe.

Die Polizei kommt, der Staatsschutz prüft, der Verfassungsschutz schaut, ob er etwas über den Mann in den Akten hat. Doch so schnell der Reflex anspringt, so sehr kann er trügen: Der Tunesier, der da im November vergangenen Jahres in München einen Flugsimulator kaufen wollte, war nur einsam und wollte sich die Zeit vertreiben.

Für die deutschen Sicherheitsexperten ist ziemlich klar: "Die wirklich Gefährlichen tragen keinen Turban, keinen langen Bart und sie fletschen auch nicht die Zähne." Deshalb sollen die Polizisten bundesweit nun nach anderen Anzeichen Ausschau halten.

Bund und Länder haben Ende 2003 beschlossen, dass sie ihre Erkenntnisse über das Vorgehen von möglichen islamistischen Tätern zu einem "Verdachtschöpfungs-Raster" verdichten.

Anhand von 20 Punkten, alle als "VS - nur für den Dienstgebrauch" klassifiziert, sollen die Streifenpolizisten erkennen, ob sie es mit einem möglichen "Gefährder" zu tun haben. Nun rollt diese neue Rasterfahndung an.

Sie soll die herkömmliche Sichtweise der Fahnder durchbrechen. "Wer anständig angezogen ist, kann kein böser Mensch sein, das denken viele", sagt ein Münchner Ermittler. "Da müssen wir die Kollegen sensibilisieren."

Erfahrung aus den Zeiten der Rote-Armee-Fraktion

Der Streifenpolizist soll nun prüfen, ob ein Verdächtiger Stadtpläne bei sich hat, ob er dort bestimmte Orte eingezeichnet hat, ob er ständig auf Reisen ist und ob er in seinem Pass Ein- und Ausreisevermerke unterschiedlichster Staaten hat.

Die neue Fahndung orientiert sich an der Erfahrung aus den Zeiten der Rote-Armee-Fraktion. Damals zog die Polizei aus den Attentaten Schlüsse, wie die Terroristen in Zukunft vorgehen könnten - und entdeckte dabei wirklich mehrere getarnte Wohnungen der RAF, in denen neue Aktionen geplant wurden.

Damals fahndete die Polizei etwa nach Mietern, die ihre Stromrechnung und die Miete bar bezahlten, man suchte nach dem Jogger, der mit seinem Hund nicht am Waldesrand entlang spurtete, sondern eine halbe Stunde still stehen blieb, um womöglich die Strecke des Dienstwagens eines Attentatsopfers auszuspähen. Man suchte das Unnormale im Normalen. Und der Streifenpolizist hatte die "Vorrang-Fahndungs-Karte" mit all solchen Anhaltspunkten in der Brusttasche stecken. Nun soll diese Methode helfen, auch Anschläge von islamistischen Terroristen zu verhindern.

Furcht vor unauffälligen Menschen

Die deutschen Ermittler fürchten gerade die Menschen, die überhaupt nicht auffallen. Die im Alltag untertauchen und dennoch jederzeit ansprechbar für Islamisten und möglicherweise auch für Terroranschläge seien: international vernetzt, völlig unverdächtig, nicht fassbar. Nun soll jede Kleinigkeit zu einem Gesamtbild der Gefahr beitragen.

"Die Telefonnummer, die wir in Sindelfingen entdecken, sagt uns vielleicht nichts", erklärt ein Stuttgarter Ermittler. "Aber der BND weiß vielleicht, dass sie nach Syrien führt und von dort in den Irak." Und dort zu Anschlagsplanungen gegen die US-Armee. Von Sindelfingen nach Syrien, weltweit vernetzt: Was Islamisten können, das versuchen jetzt auch die deutschen Sicherheitsbehörden.

© SZ vom 26.2.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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