Terror:Bombe, Messer, Stein

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Der IS inspiriert weiterhin Attentäter in aller Welt. Dazu ist oft nicht mehr nötig als ein Propagandavideo im Internet.

Von Cord Aschenbrenner

Las Ramblas, der berühmte Boulevard im Zentrum Barcelonas. Einheimische und Touristen schlendern am 17. August bei schönem Sommerwetter an Restaurants und Geschäften vorbei, als plötzlich ein weißer Lieferwagen auf sie zurast. Ein Terroranschlag, 15 Menschen sterben an diesem Tag allein in Barcelona, und es ist noch nicht vorbei. Am frühen Abend filmt die Videokamera eines Haushaltswarenladens im nahen Badeort Cambrils fünf junge Männer, die dort Messer und eine Axt kaufen. Bald danach fahren sie in einem Audi A3 in eine Menschenmenge, springen heraus und greifen wahllos Umstehende an. Es hätte auch hier viele Tote geben können, hätten Polizeibeamte die Gruppe nicht sofort gestoppt. Ein Polizist hat wohl allein vier der Terroristen erschossen. Den Tod des fünften, er trägt eine falsche Sprengstoffweste, filmen Passanten mit ihren Smartphones. Er will sich nicht ergeben und nähert sich den Polizisten, Parolen rufend, dann treffen ihn mehrere Kugeln. Der Mörder von den Ramblas wird vier Tage später entdeckt und von der Polizei erschossen. Sie scheinen alle zu derselben islamistischen Zelle gehört zu haben, der IS rühmt sich der Tat.

Das einst ausgedehnte Territorium des IS im Irak und in Syrien mag Ende 2017 Vergangenheit sein - die Idee, die sunnitischen Muslime in einem eigenen Gottesstaat zu vereinen, ist es nicht. Im von der Scharia geprägten und vom IS regierten "Kalifat" wurden Andersgläubige, Schiiten, Christen oder Jesiden, getötet oder versklavt. Der IS warb für die Einwanderung, etwa in dem monatlich erscheinenden englischsprachigen Online- Magazin Dabiq. Der selbsternannte Kalif des IS Abu Bakr al-Baghdadi, vielmals totgesagt, lebt zwar Geheimdienstberichten zufolge noch. Und die mörderische IS-Miliz ist nach den militärischen Niederlagen des Jahres 2017 nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Aber ein nach wie vor gefährlicher Schatten. Denn der IS ruft dazu auf, den Kampf weiterzuführen - um den Preis des eigenen Lebens: "Wir erneuern unsere Aufforderung an die Gläubigen in Europa, im ungläubigen Westen, die Kreuzzügler in ihren eigenen Staaten und wo auch immer sie zu finden sind, anzugreifen, sei es mit einer Bombe, einer Kugel, einem Messer, einem Stein ."

Waren noch die Anschläge von Paris im November 2015 und die vom März 2016 in Brüssel aufwendig geplant und koordiniert worden, so zeichnet sich mittlerweile ein weiteres Muster ab. Sobald ein selbsternannter IS-Kämpfer dazu bereit ist, zieht er auf eigene Faust los und greift Menschen an, so wie es in diesem Jahr vielfach überall in der Welt geschehen ist. Eine Art Agentenführer im Hintergrund ist nicht mehr notwendig, wie zuletzt der Fall eines jungen Usbeken zeigte, der Ende Oktober in New York acht Menschen mit einem Auto überfuhr und tötete. Er erklärte anschließend, dass er sich von IS-Videos habe inspirieren lassen. "Unsere Arbeit ist nicht getan", sagte Nato- Generalsekretär Jens Stoltenberg zum Auftakt eines Treffens der Anti-IS-Koalition am 9. November in Brüssel. "Während der IS Gebiet verliert, könnte er versuchen, seine Bedeutung zu beweisen, in dem er Terrorangriffe in der Region und darüber hinaus verstärkt."

16. Februar, Sehwan

(Foto: Asif Hassan/AFP)

Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Schrein liberaler Sufi- Muslime in Südpakistan werden mehr als 75 Menschen getötet, darunter 19 Kinder. Ein Attentäter sprengt sich während eines traditionellen Tanzes im Hof des Schreins in der Stadt Sehwan in die Luft, der IS reklamiert die Tat für sich.

22. März, London

(Foto: Toby Melville/Reuters)

Ein Attentäter steuert ein Auto in eine Fußgängergruppe auf der Westminster Bridge; zwei Passanten sterben sofort, zwei einige Tage später. Der Täter, ein zum Islam konvertierter Brite, ersticht auf der Flucht einen Polizisten und wird dann von Sicherheitskräften erschossen. Zu dem Anschlag mit 40 Verletzten bekennt sich der IS.

7. April, Stockholm

(Foto: Jonathan Nackstrand/AFP)

Fünf Menschen werden zu Opfern eines usbekischen ISSympathisanten, der mit einem Lastwagen in der Stockholmer Innenstadt in eine Menschenmenge rast. Im Schaufenster eines Kaufhauses kommt der Lastwagen zum Stehen, der Täter flieht und wird am Abend nördlich der schwedischen Hauptstadt festgenommen. Wie sich herausstellt, hat der Mann unter mehreren Identitäten in Schweden gelebt.

22. Mai, Manchester

(Foto: Oli Scarff/AFP)

Abends um halb elf , nach dem letzten Song von Ariana Grande, ertönt im Foyer der Manchester Arena ein lauter Knall. Ein Selbstmordattentäter zündet inmitten der Fans des US-Popstars, darunter viele Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren, eine Bombe. 22 Menschen sterben, darunter ein achtjähriges Mädchen und der Attentäter Salman Abedi, ein Brite libyscher Abstammung. Der IS behauptet, Abedi habe im Auftrag der Terrormiliz gehandelt.

17. August, Barcelona

Ein 22 Jahre alter gebürtiger Marokkaner überfährt am 17. August mit einem Lieferwagen Menschen auf der Flaniermeile Las Ramblas. Kurz nach Mitternacht, es ist schon der 18. August, lenken Männer im nahe gelegenen Badeort Cambrils einen Pkw in eine Gruppe Passanten. Insgesamt sterben 16 Menschen bei beiden Anschlägen, mehr als 120 werden verletzt. Alle Täter werden von der Polizei getötet. Bald steht fest, dass alle Täter aus Ripoll kamen, einem Städtchen im Norden Kataloniens.

1. Oktober, Marseille

(Foto: Social Media/Reuters)

Auf dem Vorplatz des Bahnhofs Marseille-Saint-Charles geht am Nachmittag des 1. Oktober ein Mann mit einem Messer auf Passanten los. Er ersticht eine junge Frau, rennt weg, macht kehrt und tötet eine weitere Frau. Zeugen sagen später, der Mann habe "Allahu Akbar" ( "Gott ist groß" ) gerufen. Vor dem Bahnhof patrouillieren im Zuge des in Frankreich geltenden Ausnahmezustandes Soldaten. Sie stellen den Mann noch auf dem Vorplatz und erschießen ihn. Die IS-nahe Agentur Amaq meldet kurze Zeit später, der Täter sei ein "Soldat" des IS gewesen. Die beiden Opfer des Attentäters waren 17 und 20 Jahre alt.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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