Tech-Branche:Ab in die Schmiede

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Im Silicon Valley hat sich lange Zeit eine Allmachts-Fantasie breit gemacht. Jede Erfindung muss die Welt revolutionieren - mindestens. Jetzt zeigen sich erste Signale für eine neue Bescheidenheit und mehr Realismus. Gut ist, was den Menschen nutzt.

Von Jürgen Schmieder

Zweifelsohne war der Tüftler Hephaistos der genialste der griechischen Götter. Der "Gott des Feuers" erfand wunderbare Geräte wie den Donnerkeil für Zeus, den Bogen für Artemis oder den Dreizack für Poseidon. Er half den Götterkollegen, manchmal half er sich auch selbst. Die untreue Gattin Aphrodite etwa erwischte er mithilfe eines klug konstruierten Netzes beim Seitensprung mit Ares. Hephaistos war der Gott für konkrete Lösungen bei konkreten Problemen, er wäre niemals auf die Idee gekommen, wegen seines Sonnengefährts für Helios das Ende der Wagenbranche auszurufen oder die Pfeile für Eros den Beleg für eine Welt voller Liebe und ohne Konflikte zu sehen.

Derartige Bescheidenheit ist den Visionären an der amerikanischen Westküste völlig fremd, es muss bei jeder Entwicklung mindestens um Leben und Universum gehen, darunter klappt niemand den Laptop oder den Investoren-Geldbeutel auf. Soylent-Gründer Rob Rhinehart will die Welt vom Hunger befreien, Facebook-Chef Mark Zuckerberg jeden einzelnen Erdling ans Internet anbinden, Faraday-Future-Ingenieur Nick Sampson die traditionelle Automobilbranche abschaffen.

Das sind großspurige und größenwahnsinnige Ankündigungen, immer garniert mit dem Silicon-Valley-Modewort Disruption. Disruption steht mal für den Willen zur radikalen Veränderung hin zu einer schöneren Zukunft, dann steht es auch für die Schadenfreude, die ein Firmengründer empfindet, wenn er eine ganze Branche an den Rand des Ruins getrieben hat und nun mit einem kräftigen Fußtritt in den Abgrund schickt. Ein Wort, so schal wie die Soylent-Drinks und so vage wie die Bessere-Welt-Floskel.

Technologie-Tüftler müssen wieder auf den Boden zurück

Wer so viel redet der muss keine konkreten Lösungen, Produkte oder Geschäftsmodelle anbieten. Der darf von der Kolonisierung fremder Planeten träumen oder davon, dass sich sämtliche Probleme der Menschheit mithilfe von Algorithmen lösen lassen. Die Zukunftsmesse CES in Las Vegas ist seit nunmehr 50 Jahren der Treffpunkt der Technologie-Tüftler, zum Jubiläum klopfen sich die Veranstalter ob der dort vorgestellten Produkte gerne auf die Schulter. Viele Besucher laufen mit offenem Mund durch die Hallen oder lauschen ehrfürchtig den Ausführungen der Branchengötter. Es gibt jedoch immer mehr Menschen, die enttäuscht nach Hause fahren, weil die bessere Welt mal wieder nur versprochen worden ist.

Der Trend zur Allmachts-Erfindung ist nicht gebrochen, aber zumindest wächst ein neues Pflänzchen. Plötzlich gibt es Menschen , die haben sich prima arrangiert mit der real existierenden Welt. Sie wollen lediglich ihren Mitmenschen ein paar kleine Erfindungen vorstellen. Ein Zahnarzt, der eine Bürste mit integrierter Videokamera und Verbindung zum Smartphone erfunden hat, um die Effizienz des Beißerputzens zu erhöhen; eine mehrfache Mutter, die eine tragbare und diskrete Brustpumpe entwickelt hat; ein älterer Herr, der eine Art intelligenter Lupe gebaut hat, die Menschen mit Sehschwäche aus der Zeitung oder von einem Bildschirm vorlesen soll.

Das sind gewiss keine revolutionären und weltverändernden Produkte wie etwa der Videorekorder (vorgestellt auf der CES 1970), die Videospielkonsole NES (1985) oder der Blue-Ray-Player (2004). Es handelt sich um kleine aber kluge Ideen, intelligente Produkte, konkrete Lösungen für konkrete Probleme. Die Industrie, die eine radikale Veränderung nötig hat, das ist die Technologiebranche selbst. Die Silicon-Valley-Visionäre müssen herabsteigen von dem Olymp und in der unterirdischen Schmiede des Hephaistos das tun, was sie einst zu Göttern gemacht hat: die Revolution nicht mithilfe von Worthülsen vorantreiben, sondern durch realistische Ideen und Produkte.

© SZ vom 10.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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