Tagebuch (5): Mit Merkel durch Lateinamerika:Das unfreiwillige Tänzchen

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Ein Hymne, die nicht aufhören will, Soldaten, deren Helmriemen unter der Unterlippe sitzen und ein Präsident, der fehlerhaft paradiert. Und was macht die Kanzlerin?

Nico Fried

Fünfter und sechster Tag. 17. und 18. Mai. Von Lima aus fliegt die Kanzlerin nach Bogotá. Treffen mit dem kolumbianischen Staatspräsidenten Uribe. Im Rathaus erhält Merkel den Schlüssel der Stadt.

Eine tolle Leistung! Wie die Soldaten ihren Helm mit Kinn und Unterlippe halten und dabei Haltung wahren. (Foto: Foto: AFP)

Am nächsten Tag besucht Merkel die Staatsanwaltschaft. Anschließend Flug nach Mexiko, Treffen mit Staatspräsident Calderón. Wetter in Mexiko: regnerisch. Stimmung der Kanzlerin: zeitweise erschöpft, aber guter Dinge.

Die peruanische Nationalhymne beginnt - und das ist ausnahmsweise mal im Wortsinne gemeint - mit einem Paukenschlag. Danach kommen noch viele Paukenschläge mehr und natürlich Blasmusik dazu.

Die peruanische Nationalhymne ist lang. Sehr lang. Irgendwann fragt man sich, ob sie eigentlich überhaupt noch einmal endet. Sollte Peru bei Olympia in Peking eine Goldmedaille gewinnen, könnte das den Zeitplan der Spiele völlig durcheinander werfen. Oder die Fernsehübertragung der Siegerehrung muss vorzeitig beendet werden.

Es ist eine schöne Hymne, damit da keine Missverständnisse entstehen. Sehr schön. Nur eben auch sehr lang. Und weil deshalb während des militärischen Ehrenempfangs von Angela Merkel viel Zeit verstreicht, kann man mindestens über zwei Dinge nachdenken: Erstens über das Präsidialregiment und zweitens über die Kanzlerin.

Erinnerung an den Salpeterkrieg

Erstens: Die Soldaten in Lima stehen nicht einfach da und stieren geradeaus. Vielmehr haben sie den Kopf weit in den Nacken gelegt, ganz nach hinten. Sie schauen in den Himmel, wobei man zu dieser Jahreszeit in Lima nicht sehr weit in den Himmel schauen kann, weil immer eine dichte Wolkendecke tief über der Stadt hängt.

Das Regiment hat eine lange Tradition: Die Soldaten tragen kleine schwarzen Taschen mit einem Posthorn drauf. Im Salpeterkrieg mit Chile und Bolivien Ende des 19. Jahrhunderts waren die Soldaten dieses Regiments für den Brieftransport zuständig.

Ihre Helme werden von einem Riemen gehalten, den sich die einen unters Kinn, die anderen unter die Lippen gelegt haben. Und trotzdem singen sie aus vollem Halse und mit großer Leidenschaft mit, was eine wirklich bewundernswerte Leistung ist.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Merkel in Lima wohl nicht an ihren Herd denkt und warum in Bogotá das Abschreiten des Präsidialregiment ziemlich schief geht.

Zweitens: die Kanzlerin. Was denkt sie, wenn sie da so steht? Sehen kann man nichts, Angela Merkel guckt immer gleich, egal welche Hymne gespielt wird und wie lang. Darüber, ob sie zu Hause den Herd ausgemacht hat, wird sie hier in Lima wohl nicht nachdenken, dafür ist sie schon zu lange von zu Hause weg.

Angela Merkel mit dem peruanischen Präsidenten Alan García. (Foto: Foto: AFP)

Mit einiger Wahrscheinlichkeit denkt sie an das, was nach der Hymne kommt, wenn sie denn mal endet. In der Regel und auch in Peru läuft sie dann nämlich mit ihrem Gastgeber die Formation der Soldaten ab, verneigt sich und kehrt wieder zurück.

Diese Prozedur ist keine Banalität, sondern minutiös festgelegt. Der Kanzlerin wird sogar für entscheidende Stellen gesagt, wann sie mit welchem Fuß zuerst losgeht. Und eine weitere wichtige Regel lautet, dass der Gast immer auf der Seite der Soldaten geht.

Zu Hause im Kanzleramt hat Merkel mal erlebt, wie der singapurische Ministerpräsident nicht recht bei der Sache war und komplett in die falsche Richtung lief. Glücklicherweise war es ein kühler Tag, weshalb der Ministerpräsident einen Mantel trug, an dem die Kanzlerin ihn gerade noch zu fassen bekam.

In Bogotá allerdings, auf der nächsten Station von Merkels Lateinamerika-Reise, geht die Sache ziemlich schief, was nicht an der Kanzlerin liegt. Der kolumbianische Präsident paradiert fehlerhaft, schiebt Merkel hin und her und bringt seinen Militärchef, der die Verantwortung für den Ablauf des Empfangs hat, gehörig ins Schwitzen. Ein bisschen sieht das aus wie ein Tänzchen, wie Ringelpiez mit Anfassen. In Mexiko geht dafür wieder alles gut.

Und am Dienstag, wenn die Kanzlerin in Berlin landet? Keine Soldaten, keine Hymne. Wahrscheinlich regnet es. Womöglich sehnt sich die Delegation dann nach Peru zurück.

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