SZ:Unnachahmlich

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Carlos Widmann war lange Jahre Redakteur der "Süddeutschen Zeitung". Selbst im Chaos von Saigon bewahrte er die Ruhe. Nun wird er 80 Jahre alt.

Von Kurt Kister

"Höchst angenehm aber war es, mit Peter Scholl-Latour bei gekühltem Champagner in Saigon zu plaudern - fünf Minuten vor zwölf, vor dem Einmarsch der Nordvietnamesen." Diesen Satz schrieb Carlos Widmann im März 2004 in einer Geburtstagsgirlande in der SZ für Scholl-Latour, der damals achtzig Jahre alt wurde. An diesem Sonntag, 22. April, wird Carlos Widmann selbst 80. Und dass er 1975 mit dem Kriegs- und Krisenreporter Scholl-Latour, der eine fürs Fernsehen, der andere für die Süddeutsche, in Saigon über das Ende des Vietnamkriegs berichtete, ist typisch für den Groß-Reporter Widmann. Ebenso typisch ist, dass er auch unter widrigen Umständen ein Bonvivant blieb, der im Chaos von Saigon Champagner trank.

Carlos Widmann ist gebürtiger Argentinier mit bayerischem Migrationshintergrund. In Buenos Aires absolvierte er ein Militärgymnasium, zum Studium kam er nach München. 1961 trat er in die Redaktion der SZ ein; 1965 wurde er der Lateinamerika-Korrespondent dieser Zeitung. Von da an trieb sich Widmann für die SZ in der Welt herum: 1972 ging er als Asienkorrespondent nach Indien, von wo aus er zahlreiche Reisen in der Region unternahm - unter anderem auch ins kriegsgeschüttelte Vietnam. Seine nächsten Stationen waren Rom, wo er mehrere Päpste er- und überlebte, sowie Washington.

1991 wechselte Widmann zum Spiegel, was er damals großartig fand, später aber auch bereut hat. Das hat damit zu tun, dass der Spiegel ein sehr gutes Blatt ist, dass aber dort die Moden, die Chefredaktionen und manchmal auch die Wertschätzung für den einen oder anderen Autor schneller wechseln als zum Beispiel bei der SZ. Für die Hamburger blieb Widmann zunächst in den USA; danach arbeitete er von Paris aus. Als Weltbürger des 20. Jahrhunderts lebt Widmann bis heute in der kälteren Jahreszeit an der Seine, und wenn es wärmer wird, nutzt er sein Häuschen in Umbrien.

Viele, die in den Siebziger-, Achtziger- oder Neunzigerjahren junge Reporter waren, sahen in Carlos Widmann ein Vorbild, weil er in unnachahmlich leichter, ironischer Schreibweise die ernstesten Dinge zu erzählen verstand. Widmann hat, wie Herbert Riehl-Heyse auch, den besonderen Reportagestil der SZ geprägt. Er hat alle wirklich wichtigen Journalistenpreise gewonnen und ist das, was man einen Zeitzeugen nennt, der selbst mehr gesehen hat als viele andere.

© SZ vom 21.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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