SZ-Leitartikel:Staatskunst in Kriegszeiten

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Hans Werner Kilz

(SZ vom 10.11.2001) - Die Bundesrepublik Deutschland ist ein souveräner Staat. Alliierte Besatzungsrechte, die Deutschlands Außenpolitik Jahrzehnte lang zügelten, sind erloschen. Bequem waren die Zeiten, in denen deutsche Kanzler und Außenminister auf das Grundgesetz und die eigene Geschichte verweisen konnten, wenn sie aufgefordert waren, sich als Bündnispartner irgendwo in dieser Welt militärisch zu beteiligen.

Sie leisteten den Beitrag, den sich die Deutschen leisten konnten: Sie zahlten und blieben ungeschoren. Das war die Rolle, die alle Bonner Kanzler - von Adenauer bis Kohl - vortrefflich beherrschten: Deutschland als Musterknabe, wirtschaftlich potent, militärisch ein Zwerg , weder Draufgänger noch Drückeberger. Das genügte den Amerikanern und gefiel den Franzosen. Nicht schon wieder sollten die Deutschen forsch und fordernd in der Weltpolitik mitmischen.

Und jetzt? Der Sozialdemokrat Gerhard Schröder ist der erste Kanzler der Bundesrepublik, der Krieg führen wird, "der Kriegskanzler", wie ihn die Gazetten apostrophieren. Er ziert sich nicht, das erklärte Staatsziel Normalisierung auch militärisch umzusetzen.

Den Vorwurf deutschen Übereifers fürchtet er weniger als die Gefahr, an der Seite des großen Verbündeten Amerika wie ein provinzpolitischer Zauderer dazustehen. Fest untergehakt mit seinem Außenminister Joschka Fischer, steht Schröder zu seinem eilfertig hingeworfenen Versprechen der "uneingeschränkten Solidarität". Das wissen die Amerikaner zu schätzen, die unter Solidarität eine bedingungslose Unterstützung ihrer Politik verstehen, auch wenn Präsident Bush und Verteidigungsminister Rumsfeld den Eindruck erwecken, als sei das militärische Mitmachen der europäischen Verbündeten ganz allein in deren Ermessen gestellt.

Erinnerung wachhalten

Die Vereinigten Staaten sind seit langem ganz gierig darauf, dass sich die Deutschen auch "out of area" an Militäreinsätzen beteiligen. Im Golfkrieg, als die Deutschen schon wiedervereinigt, aber längst noch nicht kriegsbereit waren, spotteten US-Regierungsmitglieder erbost, ob sie die "Germans" nicht doch zu kräftig entmilitarisiert hätten. New Yorker Kolumnisten wie William Safire ("Auschwitz in the Sands") erregten sich über 80 Millionen Menschen in der Mitte Europas, die sich erlauben, moralische Ansprüche zu artikulieren und gleichzeitig militärisch abstinent zu bleiben.

Nicht alles, was aus Washington nach Europa dringt, entspringt dem Bündnisgedanken oder profunder Einsicht. Eine autonome europäische Militärmacht, wie sie die Deutschen zusammen mit den europäischen Verbündeten anstreben, liegt nicht im amerikanischen Interesse.

Umso dringlicher wäre es, dass Bundeskanzler Schröder vor der Abstimmung im Bundestag noch einmal das deutsche Interesse klar artikuliert, warum die Bundesrepublik in weltweite Militäreinsätze weder hineinschlittern noch hineinstürmen will.

Aus deutscher Sicht bleibt eine europäische Streitmacht wünschenswert und notwendig, der richtige Rahmen für militärische Einsätze der Bundeswehr. Deutschland braucht keine eigenständige Großmachtrolle, es soll dem Weltfrieden dienen, nicht die Weltläufe dominieren.

Wo Diktatoren wie Milosevic zu beseitigen oder Terroristen wie Osama bin Laden zu bekämpfen sind, muss sich die Bundesrepublik einbinden in bestehende Bündnisse, in Nato oder EU. Schwierig bleibt, wie immer, die Praxis: Wo, wie lange, mit welchem Kriegsgerät und mit wie vielen Soldaten? Bei allem, was sie anbieten und mitmachen, sollten die Deutschen auf welthistorischen Ehrgeiz verzichten. Sie können ihren Ruf und ihren Rang in der Weltgemeinschaft nur dadurch verbessern, dass sie die Erinnerung an ihre schreckliche Geschichte wachhalten.

Das mag Politikern wie Brandt, Kohl und Genscher, denen die Kriegserfahrung noch im Gefühlskostüm steckte, leichter gefallen sein. Sie waren in der Tonlage vorsichtiger, in ihrem Verhalten zu den USA distanzierter, in der Erinnerung an die eigene Biografie reumütiger.

Die Nachfolger Schröder und Fischer, von Kriegsmüttern erzogen, werden nicht einlösen können, was ihre Väter versäumt haben. Sie wollen zeigen, dass sie erwachsen sind. Sie wollen, bewusst oder unbewusst, ihren Anti-Amerikanismus von einst vergessen machen. Nur so konnte der Eindruck entstehen, als hätten sie sich in das militärische Hilfsangebot hineingebettelt.

Abschreckungsrituale

Dabei könnten Kanzler und Außenminister ruhig mehr Selbstbewusstsein an den Tag legen. Auch wenn die Europäer den Amerikanern militärisch und wirtschaftlich unterlegen sind: Kulturell schaut Amerika von jeher neidisch auf Europa.

Es gibt, vor allem im politischen Verhalten, erhebliche Unterschiede zu den Vereinigten Staaten. Der europäische Westen ist dialogischer, offener nach außen, nicht so selbstüberzeugt, diplomatischer, mehr politisch, weniger militärisch. Auch diese Werte hätten erlaubt, militärisch zu agieren - möglicherweise wirksamer als der Weltaufmarsch und die massiven Abschreckungsrituale, die den Machismo der islamischen Terroristen nur beflügeln.

Es ist nicht so, dass Schröder und Fischer ihren Landsleuten die in 50 Jahren erlernte außenpolitische Kultur der Zurückhaltung austreiben wollen. Aber ihr ausgeprägter politischer Machtinstinkt lässt es ihnen ratsam erscheinen, den notwendigen parlamentarischen Beschluss noch vor den Parteitagen der SPD und Grünen im November sicherzustellen.

Die Stimmungen dort sind schwer kalkulierbar und schwer dirigierbar. Fraktionen sind leichter in den Griff zu nehmen als Parteitage. In der SPD-Fraktion wird es noch eher gelingen als in der grünen Fraktion, die Kriegskritiker auf Regierungslinie zu bringen. Die Grünen erleben einen Aufstand der Basis, das Wort vom Parteiverrat macht die Runde.

Wie kann da ein Kompromiss aussehen? Möglicherweise so: Die Gültigkeit des Kriegsbeschlusses wird von einem Jahr auf ein halbes verkürzt, wie es ohnehin die Union und FDP fordern (weil man die Sache vor der Bundestagswahl noch einmal im Parlament haben will). Den Grünen lässt sich ein nur halbjähriges Mandat mit dem Argument schmackhaft machen, dass sie dann zunächst Ja und dann, wenn humanitäre Versprechungen sich nicht erfüllt haben sollten, immer noch Nein sagen können. Das freilich wäre Trickserei, nicht Staatskunst.

Ein Ausweis besonderer Staatskunst wäre es dagegen, wenn es Kanzler und Außenminister gelänge, den eigenen Parteien und dem Wahlvolk plausibel zu erklären, warum es zu den Aufgaben der Bundeswehr gehört, den Frieden in Krisenregionen der Welt zu sichern und den Terrorismus auch außerhalb Europas mit 3900 Soldaten zu bekämpfen.

Ein großer Vorgänger der in Berlin Regierenden, Fürst Otto von Bismarck, sagte einst zu Robert von Keudell, einem Vortragenden Rat im Auswärtigen Amt: "Mut auf dem Schlachtfelde ist bei uns Gemeingut, aber Sie werden nicht selten finden, dass es ganz achtbaren Leuten an Zivilcourage fehlt."

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