SZ-Leitartikel:Kalt, kälter, Bonn

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Wolfgang Roth

Kyoto, die Kaiserstadt in Japan: ein Name, der seit 1997 für den internationalen Klimaschutz steht; ein reines Ärgernis, weil es bis heute nicht gelungen ist, das Protokoll in einen konkreten Vertragstext zu verwandeln. Warum klammern sich die Vereinten, in Wahrheit so uneinigen Nationen weiterhin an dieses Protokoll, obwohl doch klar ist, dass auch auf der Konferenz in Bonn bestenfalls ein schaler Kompromiss herauskommen wird? Ein Text mit vielen Klammern, mit einem Nachlass für diesen Staat und einem Bonus für jenen? Ein Vertrag, dem die USA, die mit Abstand bedeutendsten Zündler mit Treibhausgasen, so oder so nicht beitreten, Australien und Kanada wohl auch nicht, Japaner und Russen nur unter sehr günstigen Bedingungen für ihr Land?

Die Vereinten Nationen halten an dem 1992 in Rio begonnenen Prozess fest, weil so lange wie irgend möglich versucht werden muss, der globalen Bedrohung mit einem Bündnis möglichst vieler Staaten der Erde zu begegnen. So deprimierend die Konferenzen bisher auch verlaufen sind, so sehr die Kluft wächst zwischen dem, was getan werden müsste, und einem kaltschnäuzig fortgeführten business as usual in den meisten Industriestaaten der Erde, so hartnäckig muss trotzdem die klitzekleinste Chance ergriffen werden, einen völkerrechtlich verbindlichen Rahmen zu schaffen. Dies umso mehr, weil es heute zwar die hochentwickelten Staaten des Nordens sind, die in erster Linie das Treibhaus aufheizen, gleichzeitig aber schon große Gefahr aus den Schwellenländern droht. Die größte Gefahr droht freilich jenen machtlosen Nationen der Erde, die sich nicht mit Deichen und hohen Versicherungssummen gegen Flut und Sturm und Dürre wappnen können.

Die Interessenlage ist (noch) so unterschiedlich wie das Klima zwischen West-Samoa und Sibirien, das macht die Sache so unendlich schwer. Bei all dem Frust über die Bremser im Klimaschutz wird auch leicht vergessen, was ein ohne wenn und aber verabschiedetes Protokoll von Kyoto für viele Industrieländer, vor allem für die USA, bedeutet: eine drastische Veränderung der Wirtschaftsweise, die stark beschleunigte Abkehr von Kohle, Gas und Erdöl, durchgreifende Programme zum effizienten Umgang mit Energie, massive Förderung erneuerbarer Ressourcen. Dies alles soll stattfinden in einer Welt, in der kurzfristiger Nutzeffekt als ökonomisch, langfristig angelegte Ökonomie aber als unwirtschaftlich gilt. In einer Welt auch, in der Wahlperioden den Horizont begrenzen, während sich der befürchtete Einfluss des Menschen auf das Klima über so viele Generationen erstreckt.

Die Konferenz von Den Haag endete ohne Ergebnis, weil dort ein letztes Mal versucht wurde, den harten Kern von Kyoto zu retten. In Bonn gibt es nun zwei Möglichkeiten: Entweder scheitert das Protokoll auch formell oder es wird so stark verwässert, dass selbst die Zauderer zur Ratifizierung bereit sind. Beides wäre bedauerlich und ein furchtbarer Rückschlag, muss aber nicht das Ende der Bemühungen um einen wirksamen Klimaschutz bedeuten.

Im Falle des offenen Scheiterns müssen die Industriestaaten Farbe bekennen, es ist dann nicht mehr möglich, sich hinter den Amerikanern zu verstecken. Das Prinzip, dass alle zustimmen müssen, hat keinen Sinn mehr, die (Klima-)Welt teilt sich dann auf in zwei Lager: in eine Gruppe von Industriestaaten, die den Klimaschutz als moralische UND ökonomische Herausforderung ernst nehmen und neue Allianzen mit der Zweiten und Dritten Welt schmieden; die zweite, hoffentlich kleinere und inhomogenere Gruppe wird in Wartestellung verharren. Nun muss sich zeigen, in Amerika und Japan beispielsweise, ob und wie lange eine Politik wirtschaftliche Perspektiven hat, die auf der Nutzung endlicher Ressourcen basiert.

Ein verwässertes Protokoll hätte den Vorteil, dass sich alle Schlüsselländer weiterhin den Konferenzen stellen müssen. Diese haben, auch wenn sie ohne greifbares Ergebnis enden, demonstrativen Charakter und Rückkopplungseffekte in der Heimat der Delegationen. Der amerikanische Präsident mag derzeit die Mehrheit seiner Nation hinter sich wähnen, er kann sich aber nicht auf Dauer darauf verlassen. Es ist nicht so angenehm, immer und immer wieder vor aller Welt den bösen Buben geben zu müssen. Und dies auch noch vor dem Hintergrund, dass der großzügige Verbrauch fossiler Energie mit Versorgungskrisen, sprich: mit veralteten Strukturen der Stromwirtschaft einhergeht.

Was auch immer herauskommt in Bonn, die Europäische Union sollte gewappnet sein. Es hat überhaupt keinen Sinn, den Klimasündern ewig ihren Konsumstil vorzuhalten. Es gilt, den Beweis zu erbringen, dass eine Energiewende nicht das Ende, sondern den Anfang wahrhaft ökonomischen Wirtschaftens markiert. Wer sich dieser Wende jetzt verweigert, kann hoffnungslos im Hintertreffen sein, wenn die Folgen einer Klimaveränderung einmal so evident sind, dass kein Zweifel mehr möglich ist. Die jetzt zögern, werden dann vollends mutlos sein. Und sie werden darüber klagen, dass die Flüchtlinge aus den Krisengebieten zu ihnen kommen. Es wird dann wärmer sein auf der Erde und gleichzeitig sehr kalt.

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