SZ-Gespräch mit Chris Patten:"Europa leistet genug für den Irak"

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Die Kritik aus Washington und aus Teilen des EU-Parlaments, Europa leiste nicht genügend Finanzhilfe für den Wiederaufbau im Irak, hat der Brüsseler Kommissar Chris Patten energisch zurückgewiesen.

Von Christian Wernicke

(SZ vom 24. Oktober 2003) Die Zusagen der EU-Staaten würden "ständig steigen" und "schon jetzt über dem Niveau unserer vergleichbaren Hilfe für Afghanistan liegen", erklärte der Brite im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Patten zeigte sich überzeugt, dass Europas Beitrag "für Wiederaufbau und humanitäre Hilfe im Irak bis Ende 2004 mindestens 1,4 Milliarden Euro betragen wird."

Diese Summe ergebe sich, wenn man die nationalen Zahlungen aus den 15 EU-Hauptstädten und aus dem Brüsseler Budget addiere. Aufgrund der unsicheren Lage im Land werde es "nicht einfach sein, dieses Geld sinnvoll auszugeben".

"Politische Spielchen und Pantomime"

Als "politische Spielchen und Pantomime" bezeichnete Patten Forderungen auch deutscher CDU-Abgeordneter im Europaparlament, die EU-Kommission solle ihre geplante Wiederaufbauhilfe von 200 auf 500 Millionen Euro aufstocken.

Dies sei angesichts begrenzter Mittel im EU-Budget nur auf Kosten der Entwicklungshilfe für andere Regionen möglich: "Soll ich das Geld Asien wegnehmen, oder den Nachbarstaaten im Nahen Osten? Oder haben diese Abgeordneten irgendwo Bäume entdeckt, an denen Geld wächst?" Patten kündigte an, die Kommission werde bis zum Frühjahr ein langfristiges Hilfskonzept erarbeiten "und dann, wenn die Umstände im Irak es zulassen, das Parlament auch um mehr Geld bitten."

Grundsätzlich warnte Patten davor, am Umfang der EU-Hilfe für den Irak den Zustand der Beziehungen zwischen Washington und den europäischen Gegnern einer Militärintervention ablesen zu wollen: "Es ist keine gute Idee, ein Dollarzeichen zum Lackmus-Test für das Funktionieren des transatlantischen Bündnisses zu machen." Zwar benötige Bagdad kurzfristig Hilfe, um etwa seine Strom- und Wasserversorgung neu aufzubauen. Langfristig sei der Irak jedoch "ein potenziell wohlhabendes Land".

"Wir alle haben keine Wahl"

Unter Anspielung auf Berlin und Paris lobte der Brite ausdrücklich "die derzeitige Zurückhaltung" von Regierungen, die sich zu Beginn des Jahres gegen einen Waffengang ausgesprochen hätten. Es gebe "keinerlei Schadenfreude" über die Probleme der Besatzungsmächte: "Jetzt, da sich die Dinge anders entwickeln, als manche im Pentagon es uns vorhergesagt haben, verhalten sich alle verantwortungsbewusst. Wir alle haben keine Wahl: Wir müssen das Beste aus der Lage im Irak machen - das ist wichtig für die Region und auch für uns selbst in Europa."

Als "beachtlichen Coup europäischer Diplomatie" bewertete Patten die jüngste Zusage Irans, sein Atomprogramm internationalen Kontrollen zu unterwerfen und so Sorgen zu begegnen, Teheran strebe nach einer Atombombe: "Ich will nicht zu früh Hosianna rufen.

Aber dies scheint mir ein Beispiel für Europas hartes, aber konstruktives Engagement." Dieses Ergebnis einer gemeinsamen Reise der Außenminister aus Berlin, Paris und London beweise: "Europa kann immer dann mehr leisten, wenn Frankreich, Deutschland und Großbritannien an einem Strang ziehen.

Ob die EU eine stärkere Stimme in der Welt bekommt, hängt genau davon ab." Während der Irak-Krise hingegen "mussten einige diese Lektion erst lernen: Europa bewirkt mehr, wenn es eng zusammenarbeitet."

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