SZ-Analyse:Die sanfte Hand am Colt des Sheriffs

Lesezeit: 4 min

Dass der amerikanische Präsident sich bisher nicht zu blinder Vergeltung hinreißen ließ, ist seinem erstarkten Außenminister zu verdanken.

Wolfgang Koydl

(SZ vom 1.10.2001) - Meist klingelt das Telefon kurz bevor Colin Powell das Haus verlässt: Es ist 7 Uhr 15 morgens, wenn sich Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice in einer Konferenzschaltung zum ersten Mal am Tag mit dem Außenminister beraten.

Früher war diese Morgenrunde die Ausnahme, doch seitdem sich Amerika auf Geheiß seines Oberbefehlshabers George W. Bush im Krieg mit dem Terror befindet, ist sie die Regel geworden.

Für Powell dürfte das morgendliche Telefonat so etwas wie eine Aufwärmübung geworden sein. Denn wenn er schließlich seine gepanzerte Limousine besteigt und hinüber nach Foggy Bottom ins State Department fährt, dann liegt ein Zwölf-Stunden-Tag vor ihm, der angefüllt ist mit Beratungen, Konferenzen und Sitzungen.

Sie haben oft eines gemeinsam: der Außenminister steht mit seinen Ansichten ziemlich allein. Dann muss er all seine Überredungskünste mobilisieren, um sich durchzusetzen.

Gegenpol zum Verteidigungsminister

Schon um halb zehn Uhr, bei der ersten Zusammenkunft des Nationalen Sicherheitsrates unter Vorsitz von Bush, spricht Powell erneut mit Rumsfeld. Der Verteidigungsminister hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er die Politik der Konsultation und des Abwägens des Außenministers schon früher recht skeptisch beäugt hat.

Rumsfeld war immer, um es mit den Modewörtern des außenpolitischen Establishments zu umschreiben, der Unilateralist, der amerikanische Alleingänge bevorzugt; Powell der Konsens suchende Multilateralist.

Im Sicherheitsrat verfügt der Verteidigungsminister über die stärkeren Bataillone: Vor allem Vize-Präsident Richard Cheney, dessen Stabschef Lewis "Scooter" Libby, und der stellvertretende Pentagon-Chef Paul Wolfowitz haben sich in den Tagen der Krise eher für eine harte Gangart gegenüber den Terroristen und ihren mutmaßlichen Helfershelfern ausgesprochen.

Powell hingegen kann auf den Beistand von zwei anderen Teilnehmern zählen: Sicherheitsberaterin Rice und Vize-Außenminister Richard Armitage. Dem bulligen Ex-Soldaten - er gehörte einst der Elitetruppe der Navy Seals an - wird eine persönliche Abneigung gegen Rumsfeld nachgesagt, die er augenscheinlich offen zur Schau stellt.

Angesichts dieser Kräfteverhältnisse in der Administration ist es ein Zeichen für die bemerkenswerte Argumentations- und Überzeugungskraft des ersten schwarzen Außenministers in der Geschichte der USA, dass seine Mahnungen zur Mäßigung bislang im Weißen Haus Gehör gefunden zu haben scheinen.

Vor allem Amerikas umsichtig taktierende Verbündete draußen in der Welt setzen - nicht zum ersten Mal seit dem Amtsantritt dieser Regierung - ihre Hoffnungen auf diese eine Karte: Der gute Colin, so machen sie sich Mut, wird dem Sheriff Bush schon rechtzeitig in den Arm fallen, bevor der unkontrolliert losballert.

Der kometenhafte Wiederaufstieg Powells ist umso bemerkenswerter, als es noch keine vier Wochen her ist, als er von der gnadenlosen amerikanischen Presse schon abgeschrieben wurde. "Wo stecken Sie eigentlich?" fragte- teils höhnisch, teils besorgt - das Nachrichtenmagazin Time, und auch in anderen Blättern waren Zweifel an der Durchsetzungskraft des Chefdiplomaten und Ex-Generals laut geworden.

Heute sind diese Zweifel verflogen: Denn jeder weiß, dass allein Powell, der in den zwei Wochen seit dem Terroranschlag mit Vertretern von 197 Staaten und internationalen Organisationen verhandelt hat, das Lob gebührt, die globale Anti-Terror-Koalition zusammengeschirrt zu haben.

Die Chance der Falken

Aber weiß das auch der Präsident? Aufmerksame Beobachter wollen bemerkt haben, wie abweisend kühl Bush den Außenminister nach seiner Rede im Kongress behandelt hatte. Kaum dass er ihm die Hand reichen wollte. Doch wichtiger als solche Äußerlichkeiten ist die politische Linie, und bisher hat Bush keine Anzeichen dafür gezeigt, dass er rachsüchtig und blindwütig Vergeltung für die abscheulichen Terroranschläge vom 11. September üben wolle.

Vielmehr scheint er Powells Vorstellungen folgen zu wollen, die ein ausländischer Diplomat mit dem Begriff "erbarmungslose Prioritätensetzung" umschrieb: Erste Priorität hat die Antwort des afghanischen Taliban-Regimes auf die Forderung Bushs, den mutmaßlichen Terrorhauptmann Osama bin Laden auszuliefern. Alles andere folgt später.

Das sehen nicht alle so, und das muss auch nicht so bleiben. Denn die Falken in der Administration glauben in der Terror-Tragödie eine Chance zu erkennen, endlich alle alten Rechnungen auf einen Streich begleichen zu können, die Amerika mit einer Reihe von so genannten "Schurkenstaaten" noch offen hat: Irak, Iran, Libyen, Syrien, Libanon - wenn es nach den Hardlinern geht, so sollten sie alle in einem Aufwasch in Grund und Boden bombardiert werden.

Diplomaten stockte der Atem, als Vize-Verteidigungsminister Wolfowitz in diesem Zusammenhang angeblich davon sprach, "Staaten zu beenden, welche den Terrorismus unterstützen". Powell, der seit Beginn der Krise ein außergewöhnliches Maß an Ruhe und Souveränität ausstrahlt, zwang sich auch diesmal zur Gelassenheit: "Ich würde es eher dabei belassen, den Terrorismus zu beenden", sagte er, "und Mister Wolfowitz soll für sich selbst sprechen."

Rückzugsgefecht mit Zähneknirschen

Das tat er auch - in Form zweier zähneknirschender Dementis. Er sei missverstanden worden, meinte er. Doch selbst die Form des Missverständnisses war missverständlich: Denn Wolfowitz selbst konnte sich nicht erinnern, was er eigentlich sagen wollte oder gesagt hatte - "and in states" statt "ending states", oder vielleicht doch "staatlich unterstützten Terror zu beenden" anstatt "Staaten zu beenden".

Auf ein Rückzugsgefecht mochten die Falken freilich nicht verzichten: Wundersamerweise fand eine Information den Weg in die Medien, wonach sich Mohammed Atta, einer der Flugzeugentführer, einmal mit einem irakischen Geheimdienstagenten getroffen haben sollte.

Es war ein letzter Versuch, die öffentliche Meinung für einen Schlag gegen Bagdad zu gewinnen - aber er scheiterte, fürs erste jedenfalls. Doch die alte Garde um Rumsfeld und Wolfowitz wird so schnell keine Ruhe geben. Je mehr Zeit vergeht, ohne dass Bush und Powell greifbare Erfolge in ihrer diplomatischen Kampagne gegen das Netz des Terrors vorweisen können, desto lauter werden sie militärische Paukenschläge gegen die Verbrecher einklagen-gegen vermeintliche ebenso wie gegen echte.

Newt Gingrich, der erzkonservative einstige Sprecher des Repräsentantenhauses, brachte es für das Nachrichtenmagazin Newsweek auf den Punkt: "Wenn die USA - so wie es aussieht - mehr als 6000 Menschenleben verlieren, dann muss es eine Reaktion geben, aus der die Welt klar erkennt, dass sich die Dinge verändert haben."

Außenminister strahlt Stärke aus

Powell fühlt sich selbstsicher und stark, wie enge Mitarbeiter berichten. "Er ist in seinem Element, er kümmert sich um die grundlegenden Dinge und delegiert einzelne Aufgaben an sein Team", hat ein erfahrener europäischer Diplomat erkannt, der den Minister gut kennt.

"Colin ist der eigentliche Gravitationspunkt." Das ist auch gut so. Denn Powell wird keine leichte Aufgabe haben. Auf der einen Seite muss er die flüchtige internationale Koalition zusammenhalten, die sich aus vielen verschiedenen und widersprüchlichen Elementen zusammensetzt. Auf der anderen Seite aber muss er dieser Koalition einen konkreten Zweck vorgeben: den gemeinsamen Kampf gegen den Terror.

Als ob dies nicht schon genug wäre, muss er aber auch ständig über die eigene Schulter blicken. Denn er kann sich nicht sicher sein, dass er auf Dauer das Ohr und die Unterstützung des Präsidenten haben wird. Wenn es politisch opportun ist, wird George W. Bush auch seinen Außenminister opfern-und sei er auch noch so populär.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: