Studie der Brüsseler Kommission:Beitritt der Türkei würde hohe Kosten verursachen

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Bei einer Aufnahme der Türkei würde die Europäische Union jährlich mit bis zu 28 Milliarden Euro belastet. In der neuen Studie des EU-Erweiterungskommissars Günter Verheugen heißt es über einen Beitritt, dieser sei eine "Herausforderung mit großen Möglichkeiten für beide Seiten".

Von Christian Wernicke

Eine Aufnahme der Türkei könnte die Europäische Union jährlich netto bis zu 27,9 Milliarden Euro kosten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen, die die möglichen Auswirkungen eines türkischen EU-Beitritts untersucht. Grundsätzlich sei eine EU-Mitgliedschaft des großen Landes für beide Seiten zu verkraften.

"Der Beitritt der Türkei zur Union wäre für die Türkei wie für die EU eine Herausforderung. Falls er gut gesteuert wird, würde er beiden große Möglichkeiten bieten", heißt es in dem 54 Seiten umfassenden Papier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Auf der Basis dieser Studie will die Kommission nächsten Mittwoch über den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Ankara entscheiden. In Brüssel geht man davon aus, dass Verheugen den Beginn solcher Verhandlungen empfehlen wird; die entsprechende Beschlussvorlage ist allerdings noch nicht fertig. Den Eindruck, Verheugen werde für die Gespräche plädieren, nährt auch ein zweites Papier, das die Lage im Kandidatenland selbst begutachtet.

Darin bescheinigen die EU-Beamten der Türkei eine "substanzielle Annäherung an europäische Standards". Zwar gebe es "weiterhin zahlreiche Fälle von Folter und insbesondere von Misshandlungen", doch sei diese "Folter nicht mehr systematisch".

Zum ersten Mal überhaupt schätzt Brüssel offiziell die Kosten eines möglichen Türkei-Beitritts. Dazu wird eine Aufnahme etwa im Jahr 2015 unterstellt. Nach geltendem EU-Recht hätte die Türkei im Jahr 2025 dann Anspruch auf Brutto-Transfers zwischen 22,1 bis 33,5 Milliarden Euro jährlich. Da Ankara selbst Beitragszahlungen von 5,6 Milliarden Euro an Brüssel leisten müsste, würde die Türkei netto maximal 27,9 Milliarden Euro erhalten.

Dies seien jedoch nur Schätzwerte, da sich bis 2025 Brüssels Agrar- und Strukturpolitik verändern werde. Auch legt die Studie nahe, die Fördermittel aus den EU-Strukturfonds auf zwei Prozent des türkischen Bruttosozialprodukts zu beschränken. Das würde die Netto-Transfers auf insgesamt 16,5 Milliarden Euro verringern. Bisher gilt in der EU ein Grenzwert von vier Prozent.

Keine Prognose über Zahl der Zuwanderer

Keine eigene Prognose wagt die Kommission über die Zahl möglicher Zuwanderer aus der Türkei. Brüssel verweist auf verschiedene Studien, die das Potenzial auf 500.000 bis vier Millionen Menschen beziffern. Die Kommission erwartet, dass der größte Teil dieser Migranten "höchstwahrscheinlich nach Deutschland" streben werde. Die EU-Staaten könnten aber zum Schutz gegen "Störungen auf dem EU-Arbeitsmarkt" mit Ankara "langfristige Übergangsperioden und eine Schutzklausel" vereinbaren.

Die wirtschaftlichen Folgen eines Türkei-Beitritts seien für die EU "positiv, aber relativ klein", da die Wirtschaftskraft des Landes nur bei zwei Prozent der jetzigen EU liege. Außenpolitisch werde die EU hingegen an Gewicht gewinnen. Auf Europa komme die Herausforderung zu, sich in Nahost oder im Kaukasus "als vollwertiger politischer Spieler" zu beweisen.

© SZ vom 1.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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