Studenten-Proteste:Paris steuert auf Regierungskrise zu

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Sollte Frankreichs Premier Villepin seinen Kurs stur fortsetzen, könnte es ihn schon bald sein Amt kosten.

Gerd Kröncke

Eine gewisse sportliche Haltung ist dem Regierungschef nicht abzusprechen. Am Samstagmorgen - das wollte er sich nicht nehmen lassen - hat Dominique de Villepin wieder seinen Dauerlauf im Bois de Boulogne absolviert, umgeben von Freunden und mit seinen Bodyguards. Dass der Jogger mit dem Silberschopf eine gute Figur macht, bezeugen die Bilder tags darauf.

Frankreichs Premier de Villepin ist so unbeliebt, dass er jetzt erst recht stur bleibt. (Foto: Foto: Reuters)

Villepin versucht Dynamik zu demonstrieren, aber an diesem Wochenanfang ist die Frage mehr denn je: Wann geht dem Premierminister die Puste aus?Noch hält der Präsident seine Hand über seinen Protegé.

Villepin mag wohl angeschlagen sein, aber Jacques Chirac sitzt im selben Boot. Ihm liegt daran, nun, da seine Amtszeit in die letzte Phase geht, nicht als derjenige in die Geschichte einzugehen, der Gräben aufgerissen hat.

Dreimal hat der Präsident vorige Woche öffentlich interveniert, um das umstrittene Beschäftigungsgesetz zu verteidigen, das auch nach seiner Meinung dazu führen könnte, die Jugendarbeitslosigkeit nennenswert zu reduzieren. "Wie Sie wissen, ist die Regierung zum Dialog bereit", sagte er vorigen Freitag, und er hoffe, dass dieser Dialog möglichst schnell eröffnet wird.

So schnell reden die Gewerkschaften nicht. Fürs Erste liegt die Drohung eines Generalstreiks in der Luft, das Ultimatum läuft am Montagabend ab. "Die Regierung und der Präsident haben 48 Stunden Zeit, sich zu entscheiden", drohte der Chef der Gewerkschaft Force Ouvrière, René Valadon.

Die Gewerkschaften stehen geschlossen gegen Villepin und Chirac und wollen für einen Tag, am kommenden Donnerstag, im ganzen Land die Arbeit niederlegen. Noch ist nicht abzusehen, wie Villepin einen geordneten Rückzug einleiten will, ohne das Gesicht zu verlieren. Den Uni-Rektoren, die von Villepin vor den Demonstrationen des Wochenendes empfangen wurden, vermittelte der Premier den Eindruck, dass er sich bewegen werde.

"Nicht beim Alles oder Nichts bleiben"

"Mir scheint", sagte Yannick Vallée, der Sprecher der Rektoren-Konferenz, "er ist im Begriff, eine bedeutende Geste zu machen." Die Rektorenkonferenz ihrerseits hat vorgeschlagen, das Gesetz CPE (Contrat première embauche) für ein halbes Jahr auszusetzen. "Der CPE ist von den Studenten sehr schlecht aufgenommen worden, sie erleben ihn als eine Steigerung der Unsicherheit."

Alle Versuche, das Gesetz nüchtern zu erklären, seien aussichtslos. Nun brauche es eine Zeit des Nachdenkens. Kann es sich Villepin wirklich leisten, die Krise durchzustehen, ohne nennenswerte Konzessionen zu machen? Jean- François Copé, der Regierungssprecher im Ministerrang, appelliert an die Gegenseite, "nicht in einer Logik des Alles oder Nichts zu bleiben", aber er redet in den Wind.

Zu stark fühlt sich die Opposition der Straße. Dabei gehen die Zahlen wie immer weit auseinander. Die Polizei, also die Regierung, sprach von einer halben, die Gewerkschaften von eineinhalb Millionen, die am Samstag demonstrierten. Entscheidend sind die Bilder und das Gefühl der Bürger: eine klare Mehrheit ist nicht nur unzufrieden mit Villepin, sondern spricht sich auch gegen sein Beschäftigungsgesetz aus.

Villepin, den Chirac als seinen Nachfolger im Elysée favorisiert, muss die Erfahrung machen, dass das Hôtel Matignon, der Amtssitz des Premierministers, kein guter Ausgangspunkt für die Präsidentschaft ist. Bei dem Versuch, von dort ins höchste Amt aufzusteigen, sind schon seine Vorgänger Edouard Balladur und Lionel Jospin gescheitert.

Balladur musste als Premier ein Gesetz unter dem Druck der Studenten-Demonstrationen zurückziehen. Der Sozialist Jospin seinerseits zwang einen Bildungsminister, der ein loyaler Freund war, aus ähnlichem Anlass zum Rücktritt. Daraus schien Villepin den Schluss zu ziehen, dass er mit Nachgiebigkeit nur scheinbar die Situation retten, seine Zukunftsaussichten aber kaum verbessern kann.

Unbeliebtheit schweißt zusammen

Also geht er aufs Ganze. Seine Regierung hat einen Grad von Unpopularität erreicht, der sie zusammenschweißt. Ein gutes Jahr vor den Neuwahlen erlebt sie ein Stimmungstief, auf das zu hoffen die Opposition nie gewagt hätte. Es gibt kaum einen Minister, der bei den Gewerkschaften, mit denen die Regierung nun reden muss, halbwegs Kredit hätte.

Lediglich Arbeitsminister Jean-Louis Borloo, um den es in den vergangenen Monaten still geworden war, hätte die Statur, das verkorkste Verhältnis wieder zu entspannen. Inzwischen wird nicht einmal ausgeschlossen, dass Villepin am Ende auf der Strecke bleiben könnte.

Für diesen Fall hat sein Präsidentschaftsrivale Nicolas Sarkozy schon durchblicken lassen, dass er nicht zur Verfügung steht. Der Innenminister denkt eher an ein vorzeitiges Ausscheiden, um sich als Parteivorsitzender ganz auf die Präsidentschaftskandidatur vorzubereiten.

Einstweilen spricht viel dafür, dass Villepin unnachgiebig bleibt. "Ich bin nicht Balladur", soll er vorige Woche einem Abgeordneten zugeraunt haben, "ich lass mich nicht kastrieren." Vor langer Zeit, als Villepin noch Chiracs Berater im Elysée war, hat der damalige Premierminister Alain Juppé das Wort geprägt, Villepin würde "einen guten Premierminister in Kriegszeiten abgeben". Nun muss er sich nur in der Krise bewähren.

© SZ vom 20.3.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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