Streit um EU-Mehrheitsverfahren:Das Kreuz mit der Quadratwurzel

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In der EU soll auch in Zukunft die "doppelte Mehrheit" bestimmen - Polen jedoch will die Stimmen mit dem "Quadratwurzelverfahren" gewichten. Warum das Quatsch ist.

Jeanne Rubner

Die Liebe zur Mathematik ist in Osteuropa ausgeprägt. Die harte Wissenschaft galt in kommunistischen Zeiten als unverdächtig, und Bleistift und Papier waren meist vorhanden. Ein paar Formeln lassen sich schnell hinschreiben und anwenden - so wie die "Quadratwurzel"- Berechnung, nach der Polen sich ein höheres Stimmgewicht in der EU sichern will.

Die Quadratwurzel ist die Umkehrung des Quadrats und führt gewissermaßen dazu, dass Spitzen abflachen. Eine solche Spitze ist die deutsche Bevölkerung mit 82 Millionen Menschen.

Der bisherige Verfassungsentwurf, um den vor dem EU-Gipfel nächste Woche in Brüssel gerungen wird, sieht vor, dass bei Abstimmungen die "doppelte Mehrheit" gilt: Mindestens 55 Prozent der Mitglieder - also mindestens 15 von 27 Ländern - müssen zustimmen. Dabei müssen sie mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung auf die Waagschale bringen.

Ein ziemlich gerechtes System

Das ist ein ziemlich gerechtes System, weil es erstens jedem Land, ob groß oder klein, eine Stimme gibt, zweitens zugleich die Zahl der Bewohner berücksichtigt. Nach dieser Formel beträgt Polens Gewicht etwa sechs (von 100) Stimmen und das Deutschlands, das zweieinhalbmal so viele Einwohner hat, 17 Stimmen.

Berücksichtigt man aber nicht die Einwohnerzahl, sondern deren Quadratwurzel, würde Polen auf acht Stimmen aufsteigen und Deutschland auf neun gedrückt. Die genaue polnische Formel gibt es nicht auf Papier, es kursieren nach Informationen von EU-Abgeordneten auch mehrere Varianten, von denen manche die Landesfläche, andere das Bruttosozialprodukt berücksichtigen.

Mit der Quadratwurzel aber haben die Polen den für sie wichtigsten Effekt erzielt: die Großen schwächen und die Mittelgroßen, zu denen sie gehören, stärken. Bei den Kleinen ändert sich wenig, weil bei ihnen die Einwohnerzahl kaum ins Gewicht fällt.

Als im März erste Skizzen der polnischen Formel auftauchten, verteidigte eine Regierungsmitarbeiterin sie als "historischen Rabatt". "Das ist Unsinn", sagt dagegen der deutsche EU-Abgeordnete Elmar Brok, Warschau verstoße damit gegen den Grundsatz des Europas der Staaten und der Bürger.

© SZ vom 15.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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