Streit um die Kartoffel:Polnischer Botschafter attackiert die eigene Regierung

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Andrzej Byrt bezeichnet die Reaktion Warschaus auf eine Satire in der taz als "übertrieben" - und stellt sich deutlich gegen die derzeitige polnische Außenpolitik.

Thomas Urban

Ungewöhnlich deutlich hat der scheidende polnische Botschafter in Berlin, Andrzej Byrt, die Außenpolitik der Regierung in Warschau kritisiert. Byrt, der im August den diplomatischen Dienst verlässt, bemängelte am Dienstag in einem Interview mit Inforadio RBB die "übertriebene Reaktion" Warschaus auf eine Satire in der Berliner tageszeitung.

Auch rügte er Fehler bei der Absage eines Treffens Kaczynskis mit Kanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Jacques Chirac im Rahmen des "Weimarer Dreiecks". Polens Medien setzten ihre Kritik am Vorgehen Warschaus fort.

Die Aussagen des in Berlin hoch angesehenen Diplomaten, der den Dienst verlassen muss, weil er in jungen Jahren beim Auslandsstudium mit dem polnischen Geheimdienst zusammengearbeitet haben soll, decken sich nahezu mit einem offenen Brief der acht Außenminister, die seit der politischen Wende von 1989 an der Spitze der polnischen Diplomatie gestanden hatten. Auch sie hielten Kaczynski vor, unnötig Spannungen mit den Nachbarn hervorzurufen.

Der designierte Premier Jaroslaw Kaczynski, Zwillingsbruder des Präsidenten, hatte den Brief als "illoyal" und "schädlich für das Ansehen Polens" bezeichnet, doch war er dafür von der Warschauer Presse kritisiert worden.

Warnung vor der Isolation

In der konservativen Rzeczpospolita hieß es, der Brief der Ex-Minister, darunter die auch im Ausland angesehenen Wladyslaw Bartoszewski und Bronislaw Geremek, sei ein "Akt der Verzweiflung" gewesen.

Auch Experten für Außenpolitik der polnischen und internationalen Stiftungen in Warschau äußerten sich kritisch über den Kurs der politischen Führung. Sie befürchten, dass der von Jaroslaw Kaczynski geplante außenpolitische Kurs, der auf Stärkung des Nationalstaates abzielt, Polen in der EU isoliert.

Aleksander Smolar von der Stiftung für internationale Beziehungen wies darauf hin, dass Polen bereits im Ruf stehe, von der EU materiell profitieren zu wollen, ohne Kompromissbereitschaft zu zeigen.

Präsident Lech Kaczynski hatte jedoch angedeutet, man werde in Warschau erneut über den Entwurf einer europäischen Verfassung nachdenken. Bislang hatten die Kaczynski-Brüder betont, sie lehnten den Entwurf strikt ab.

Die Polen-Beauftragte der Bundesregierung, Gesine Schwan, äußerte die Erwartung, dass die Verstimmung der polnischen Spitze über die taz-Satire das deutsch-polnische Verhältnis nicht dauerhaft belasten wird. Es handele sich um eine innerpolnische Debatte.

In der Satire wird Präsident Lech Kaczynski als "junge Kartoffel" bezeichnet. Außerdem hatte der Autor geschrieben, Jaroslaw Kaczynski lebe "ohne Trauschein" bei seiner Mutter.

© SZ vom 12.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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