Streit über die EU-Verfassung:Locken und Drohen

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Rund 600 Deutsche stimmen heute über die EU-Verfassung ab: Es gilt als sicher, dass der Bundestag das Jahrhundertprojekt durchwinken wird. Einige Abgeordnete lehnen es jedoch ab. Wie die Union in letzter Minute die Verfassungsgegner in den eigenen Reihen auf Linie bringt.

Von Jens Schneider und Nico Fried

Sogar der Papst wurde bemüht: Es war CSU-Chef Edmund Stoiber persönlich, der sich am Dienstagabend vor der Fraktion von CDU und CSU auf den Heiligen Vater berief, als er für Europas neue Verfassung warb.

Auch die Kirche sehe die Verfassung als Fortschritt an, erklärte Stoiber den EU-Skeptikern aus den eigenen Reihen - von denen manche den fehlenden Gottesbezug in der Verfassung beklagen. Im wahrsten Wortsinn sollten die Kritiker nun, soll Stoiber gemahnt haben, nicht päpstlicher sein als der Papst.

Stoiber war extra angereist, um gemeinsam mit Angela Merkel für die Verfassung zu werben, die vor allem in der CSU kontrovers diskutiert wird - und über die an diesem Donnerstag im Bundestag abgestimmt wird. Der CSU-Chef widmete sich vor allem dem Grundsätzlichen.

Mit Pathos rief Bayerns Ministerpräsident in Erinnerung, wie das kriegerische Europa von einst zu einer Friedensgemeinschaft zusammengewachsen sei. CDU-Chefin Merkel erklärte, warum die Verfassung ein großer Fortschritt sei. Ihr Vortrag sei imponierend gewesen, räumen selbst EU-Skeptiker ein.

Nach gut drei Stunden konnte die Unionsführung Entwarnung vermelden. Dass der Vertrag über die Verfassung im Bundestag mit klarer Mehrheit angenommen würde, stand zwar nie in Zweifel. Nun aber war sicher, dass es eine deutliche Mehrheit auch aus der Union-Fraktion geben wird. Nur 13 Abweichler wurden nach der Probeabstimmung gemeldet.

Merkel sprach von einem "überzeugenden Ergebnis". Mit Druck und Kompromissangeboten setzt die Führung der Union seit Tagen alles daran, die Zahl der Abweichler zu verringern. So berichten Abgeordnete, dass ihnen von einflussreichen Kollegen jene Folterinstrumente gezeigt wurden, die in der Demokratie zum Zwecke der Mehrheitsbeschaffung entwickelt wurden - etwa die Drohung mit dem Karriereknick.

Bei der CSU hat die Führung der Landesgruppe EU-Skeptikern eine Brücke gebaut. In einer Erklärung, die auch Landesgruppenchef Michael Glos unterzeichnet hat, drücken die Skeptiker ihr Unbehagen aus - um dann doch "trotz der schwerwiegenden Bedenken" zuzustimmen.

Als wichtigstes Argument für die Zustimmung gelten die zusätzlichen Rechte, die dem Bundestag im Gesetzgebungsverfahren eingeräumt werden. Zwar wird der Bundestag die EU-Politik der Bundesregierung auch künftig bei wichtigen Entscheidungen nicht an seine Vorgaben binden können.

Aber alle Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass die Pflicht der Regierung, den Bundestag zu unterrichten, stark erweitert wird. So muss sie künftig das Parlament unverzüglich noch vor Entscheidungen über alle Gesetzentwürfe der EU, Stellungnahmen und Empfehlungen informieren. "Wir haben viel mehr erreicht", sagt der europapolitische Sprecher Peter Hintze, "als wir zu hoffen wagten."

Wesentlich geringer als in der Union ist die Skepsis in den Reihen der Koalition ausgeprägt. In der SPD haben zwei Abgeordnete angemeldet, sich bei der Abstimmung enthalten zu wollen. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt, kündigte allerdings an, man wolle mit den beiden noch einmal sprechen.

Bei den Grünen meldete in der Fraktionssitzung nur Hans-Christian Ströbele Bedenken an - was ihm immerhin einen gut 20-minütigen Meinungsaustausch mit Außenminister Joschka Fischer bescherte, den der Minister offenbar zum Zwecke besserer Sichtbarkeit sogar im Stehen austrug.

Zwischenrufe der Parteivorsitzenden

Dem Einwand Ströbeles, der Bundestag habe zu wenig Gelegenheit, sich mit der Verfassung auseinander zu setzen, obgleich seine Rechte stark betroffen seien, widersprach Fischer mit dem Hinweis darauf, dass sich seit Monaten kaum jemand für die Verfassung interessiert habe. Es sei deshalb befremdlich, dass die Bedenken erst jetzt, kurz vor der Ratifizierung, vorgetragen würden.

Sollte Ströbele seine Zustimmung verweigern, so Fischer, müsse er sich auch darüber bewusst sein, dass er sich mit den Europa-Skeptikern unter den britischen Konservativen und auch den französischen Rechtsextremen gemein mache.

Mit dem Hinweis auf Letztere griff Fischer Zwischenrufe der Parteivorsitzenden Claudia Roth auf, die wiederholt den Namen Le Pen in den Raum warf. Assistiert wurde Fischer vom Europa-Politiker Rainder Steenblock, der darauf verwies, dass die Rechte des Bundestages gestärkt würden, und es darauf ankomme, was die Parlamentarier mit den neuen Möglichkeiten anzufangen wüssten. In Grünen-Kreisen wird erwartet, dass Ströbele der Verfassung nun zustimmt.

© SZ vom 12. Mai 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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