Streit in der Koalition:Kalkulieren und kämpfen

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SPD-Chef Gabriel stellt den für den 23. März geplanten Haushaltsbeschluss in Frage. Doch der Streit um die Rücklagen gerät zum Streit um die Wählergunst.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Lust zum Verweilen macht das Paul-Löbe-Haus an diesem Montag nicht. Der graue Beton geht übergangslos in den bedeckten Himmel über, vereinzelt hallen Schritte durch das Atrium. Die Bundestagsabgeordneten haben sitzungsfrei, ihr Bürohaus wirkt menschenleer trister als das Europaparlament in Straßburg. Immerhin ist Eckhardt Rehberg (CDU) angereist, haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er hat das Wahlvolk in Gestalt einer Besuchergruppe durch die Regierungsrefugien geführt. Und will, bevor er das Licht löscht, ein paar Worte zum Bundeshalt 2017 loswerden. Was eine knappe Woche vor drei wichtigen Landtagswahlen freilich darauf hinausläuft, dass der Unionsabgeordnete punkten will. Und zwar in dem koalitionären Streit, den Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) seit Tagen vordergründig um die schwarze Null im Haushalt, tatsächlich aber um Wählerstimmen führen.

Gleich der erste Satz ist eine verbale Attacke. "Gabriel muss wissen, was er will." Am 26. November habe er sich im Bundestag ganz klar zu "keinen neuen Schulden" bekannt. Und nun die Wende! Gabriel wolle die aus den Überschüssen des Jahres 2015 gebildete Rücklage in Höhe von 12,8 Milliarden Euro nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für Wohltaten an Bundesbürger ausgeben. Obwohl das Geld schon verplant ist. Rehberg rechnet vor: "Was Gabriel noch nicht eingängig ist, ist, dass von den 12,8 Milliarden Euro schon sechs Milliarden weg sind im Haushalt 2016. Der Rest wird gebraucht, um diese Leistungen im Haushalt 2017 weiter zu finanzieren." Und überhaupt: "Was Gabriel an dieser Stelle fordert, das kann man auch im AfD-Programm nachlesen. Jetzt zu sagen, wegen der Flüchtlinge kommen andere zu kurz, ist die völlig falsche Argumentation."

Finanzminister Wolfgang Schäuble verteidigt die Schwarze Null. Doch um die geht es im Streit mit der SPD nur vordergründig. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Rund 320 Kilometer südlich ist Carsten Schneider in seinem Wahlkreis Erfurt unterwegs. Zwar wird in Thüringen am kommenden Sonntag ebenso wenig gewählt wie in Rehbergs Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, aber im Wettstreit um Wählerstimmen will der SPD-Bundestagsabgeordnete, der lange Haushaltsexperte seiner Fraktion war und mittlerweile ihr Vize-Chef ist, nicht schweigen. Für die SPD sei es "nicht hinnehmbar", sagt Schneider, "dass Minister Schäuble und die Union von vornherein alle Instrumente ausschließen, mit denen Ausgaben finanziert werden können". Schulden dürfen nicht gemacht werden, okay. Steuern sollen nicht erhöht werden, gut. Aber warum nicht Ausgaben umschichten? Oder Subventionen abbauen? "Die Verweigerungshaltung bei der Union darf nicht dazu führen, dass notwendige Investitionen unterbleiben."

Für sozialen Wohnungsbau? Elektroautos? Keinen Cent, sagt Eckhardt Rehberg (CDU)

Was nötig ist? "Wir brauchen fünf bis sechs Milliarden Euro, um damit sowohl eine erfolgreiche Integration zu finanzieren als auch sozialen Wohnungsbau, Innovationen und aktive Arbeitsmarktpolitik zu fördern", sagt Schneider. "Dafür müssen wir Überschüsse verwenden, die jetzt in der Rücklage liegen." Und wenn das Geld nicht reicht, weil es, wie Rehberg sagt, für die Flüchtlinge verplant ist? "Minister Schäuble hat noch Spielraum", rechnet Schneider vor. "Allein bei den Zinsausgaben sind ein bis zwei Milliarden Euro Luft."

SZ-Grafik; Quelle: Bundesministerium der Finanzen (Foto: 90)

Rehberg wiederum empören solche Forderungen. Bei den Zinsen sei nichts mehr zu holen. "Und von der Rücklage gibt es keinen Cent für Elektroautos oder normalen sozialen Wohnungsbau." Die SPD habe zugestimmt, dass mit dem Geld Flüchtlingskosten bezahlt werden. Und was ist mit umschichten, einsparen oder reformieren? "Wir machen das, was im Koalitionsvertrag als prioritär vereinbart ist", sagt Rehberg.

Der Haushaltsstreit zwischen Schneider und Rehberg steht exemplarisch für den Konflikt in der großen Koalition. Sie streitet nicht um das Ziel, einen ausgeglichenen Haushalt 2017 anzustreben. Sondern darum, welche Ausgaben als flüchtlingsindiziert deklariert und wenigstens teilweise aus der Rücklage bezahlt werden. Schäuble hat höhere Ausgaben für Verteidigung, innere Sicherheit und Entwicklungshilfe als gesetzt erklärt - das sind unionsgeführte Ministerien. In der SPD können Arbeitsministerin Andrea Nahles, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Bauministerin Barbara Hendricks auf ein wenig mehr Geld hoffen. Ansonsten gilt für Schäuble der Satz aus dem Koalitionsvertrag: Zusatzausgaben sind durch Einsparungen im gleichen Ressort gegenzufinanzieren. Was bedeutet, dass es weder mehr Kita-Plätze, mehr Sprachkurse, mehr sozialen Wohnungsbau noch zusätzliche Investitionen geben wird.

Der SPD-Vorsitzende Gabriel will sich damit nicht zufriedengeben und hat angekündigt, dass der für den 23. März angesetzte Koalitionsbeschluss der Eckwerte des Bundeshaushalts 2017 notfalls bis nach Ostern verschoben wird. Das sieht auch Schneider so: "Wenn sich der Bundesminister nicht bewegt, können wir nicht zustimmen." Es wäre das erste Mal, dass ein Haushaltsbeschluss verschoben würde.

Rehberg lächelt über die Drohung. "Ich warte mal den 13. März um 18.01 Uhr ab." Es ist der Zeitpunkt, an dem am Wahlsonntag erste Hochrechnungen kommen, sich Sieger und Verlierer sortieren. Wer wird gewinnen? "Ich wage da keine Prognose", zögert Rehberg. Aus der Chefetage der Union kommt am Dienstag später noch eine klare Ansage: "Der 23. März steht aus unserer Sicht." Und außerdem: "Das Beste, was einem Finanzminister, der sparen will, passieren kann, ist, dass kein Haushalt beschlossen wird. Denn die vorläufige Haushaltsführung sichert die schwarze Null."

© SZ vom 09.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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