Streiflicht:Mächtige in Badebekleidung

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Nicht nur Angela Merkel wurde beim Planschen abgelichtet

Im Sommer 1919 zeigte die Berliner Illustrirte Friedrich Ebert in Badehose. Der Reichspräsident steht neben dem Reichswehrminister Gustav Noske in knietiefem Wasser am Ostseestrand, beide lachen onkelhaft in die Kamera. Die Illustrirte, ihrem Präsidenten und dem Projekt Weimar mit heißem Herzen zugetan, wollte ein Zeichen setzen: Unser Präsident, einer wie Sie und ich, in der Demokratie sind auch große Tiere nur Menschen.

Schaumbad in der eigenen Wut

Der Schnappschuss ging nach hinten los, die konservative Öffentlichkeit nahm ein Schaumbad in der eigenen Wut: Verletzung der Amtswürde! Kaiser Wilhelm hätte sich nie so gezeigt! Sogar englische Zeitungen druckten das Foto bereitwillig nach. Womit wir im Hier und Jetzt wären.

Eigentlich passt zwischen die Bild und die Sun ja kein Blatt Papier. Sie beackern ähnliche Themenfelder: Sex, Sex, Sex und Adolf Hitler. Plötzlich aber klafft da ein Graben, breit wie der Ärmelkanal. Auf der einen Seite die Sun, mit der Kehrseite von Angela Merkel, aufgenommen beim Umziehen auf Ischia.

Auf der anderen Seite Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner, der die Sun wegen des Fotos als "verfault" bezeichnet. Wagner sagt, ihm sei Merkels Kopf wichtiger als ihr Po, ein rätselhaft schillernder Satz, mit dem Wagner aber vielleicht an Ernst Kantorowicz' Formulierung von den zwei Körpern des Königs anknüpfen wollte.

Kantorowicz drückte damit aus, dass den Königen des Mittelalters neben ihrem natürlichen, sterblichen Körper noch ein übernatürlicher, offizieller Körper zugeschrieben wurde, der nie stirbt. Nun würde wohl niemand die aktuellen Staatsoberhäupter als unsterblich bezeichnen. Aber die zwei Körper des Königs gibt es immer noch.

Der schlichte Beweis dafür ist der Reiz, jene unbekleidet zu sehen, die eine Position bekleiden. Da wir im Fernsehen immer nur den übernatürlichen Körper sehen, eingehüllt in Nadelstreifen und den Mantel der Geschichte, aus dem oben ein verlautbarender Kopf herausschaut, sind wir so fasziniert, wenn die nackte Macht zu sehen ist: Die sieht ja aus wie wir! Arme! Beine! Po!

Kohl als "schwarzer Riese"

Bei Helmut Kohl schienen mit der Zeit die beiden Königskörper ineinander zu verschmelzen. So schrieb die FAZ, als der Kanzler 1997 am Hotelpool von Brisbane in Shorts fotografiert wurde: "Er sieht ohne Anzug nicht anders aus als mit: so, wie man sich einen ,schwarzen Riesen" vorstellt."

Dass Merkel die Taktlosigkeit der Sun auf sich beruhen lassen will, spricht für ihre staatsmännische Souveränität. Etwas anderes aber ist enttäuschend. Helmut Kohl, lungernd an einem australischen Pool, das passte zu seiner Bräsigkeit. Angela Merkel hingegen hatte vor der Wahl versprochen, stramm durchzuregieren. Kaum aber ist sie im Amt, fährt sie nach Ischia und lässt den Bademantel der Geschichte fallen.

© SZ vom 20.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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