Straßenkämpfe in Frankreich:"Wir machen die Polizei fertig"

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Anhänger der Protestbewegung der gelben Westen in Frankreich berufen sich gerne auf "das Volk". Das reicht einigen, um die Gewalt zu rechtfertigen, die sich bei den Krawallen von Paris entladen hat. Dabei sind längst nicht alle Profirandalierer.

Von Nadia Pantel

Apokalyptische Szene auf den Champs Elysées: Die gelben Westen der Demonstranten sind zum Symbol der Zerstörung geworden. (Foto: Yoan Valat/ Shutterstock)

Samstagabend, 21 Uhr. Vor der Chanel-Filiale in der Rue du Faubourg Saint-Honoré schneiden Handwerker Holzplatten zu, um die zu Bruch gegangenen Scheiben zu ersetzen. Den ganzen Tag über ist durch die teuren Shoppingviertel hier im Westen von Paris ein wütender Mob gezogen, ein paar Straßen weiter kokeln die Barrikaden noch vor sich hin.

Gegenüber von Chanel stehen vier junge Männer und eine Frau in gelben Warnwesten. Sie reichen eine Bierflasche herum. Die "gilets jaunes", die gelben Westen, gelten in Frankreich seit Mitte November als Erkennungszeichen der Zornigen. An diesem Wochenende in Paris sind sie auch zum Symbol der Zerstörungswut geworden. Während Präsident Emmanuel Macron Gewalt als Mittel des Protests scharf kritisiert, unterstützt die Opposition, von links über rechts bis ganz nach rechts, die gelben Westen weiter. Die Bewegung sei pazifistisch, heißt es, sie werde nur manchmal von Krawallmachern gekapert.

Die jungen Leute mit der Bierflasche erzählen eine andere Geschichte. Ihre Namen wollen sie nicht nennen, wie viele der zornigen Westenträger hegen sie ein tiefes Misstrauen gegen die Medien. Alle fünf sind aus Bordeaux angereist, wo sie seit zwei Wochen auf der Autobahn eine Mautstation blockieren und die Autofahrer kostenfrei durchwinken. Der Wortführer der Gruppe, der von sich sagt, er sei Bauzeichner, droht: "Heute hat uns die Polizei fertiggemacht, nächste Woche machen wir die Polizei fertig." Nach seiner Darstellung geht die Gewalt nicht nur von Profi-Randalierern aus, sie kommt auch von Menschen wie ihm, die kaum Protesterfahrung haben und sich gerade erst politisieren. Er humpelt: Ein Gummigeschoss habe ihn in der Kniekehle getroffen. Die Regierung höre ihnen nicht zu, sagt er die Lebenskosten stiegen immer weiter, und die Mehrheit der Franzosen sei auf ihrer Seite und habe keine Lust mehr auf Macron. Der ideale Ausgang der Proteste sei eine sechste Republik, eine "Demokratie, in der das Volk wirklich mitentscheidet". Und ja: Er habe Barrikaden gebaut. Angezündet habe er nichts, aber nächstes Wochenende komme er wieder: "Dann sind wir besser ausgerüstet." Wie konnte er sich so schnell radikalisieren? "Ich mag das Wort Radikalisierung nicht. Ich bin Pazifist." Hat er nicht gerade noch von Molotowcocktails gesprochen, die man auf Polizisten werfen müsse? "Ich wünschte mir, das wäre nicht nötig, Madame." Dann lächelt er herzlich und empfiehlt, nächstes Wochenende lieber aufs Land zu fahren, als in der Stadt zu bleiben.

Fragt man die Menschen in den gelben Westen, warum sie auf die Straße gehen, dann fällt früher oder später das Wort "le peuple". Das Volk. Gerade weil die meisten keine politischen Lösungen vorschlagen, gerade weil sie vor allem über ihre persönlichen finanziellen Probleme sprechen wollen, sehen sie sich als Repräsentanten des gesamten Landes: Wenn jeder für sich stehe, so die Logik, bilden alle zusammen am Ende das Ganze, das Volk. Risse erhält diese Logik, sobald das Gespräch auf Marine Le Pen kommt. Die rechtsradikale Politikerin feiert die gelben Westen auf Twitter unter anderem mit den Worten: "Ihr seid das Volk der Franzosen." Wenn Le Pen "Volk" sagt, dann ist der nächste Schritt immer ein Aussortieren. Muslime, Einwanderer, Feministen, Linke: Die Liste der unwillkommenen Menschen ist lang. Sind die "gilets jaunes" mit diesem Aussortieren einverstanden? Das Einzige, was sie der Vereinnahmung durch Le Pen entgegensetzen, ist ihr Beharren darauf, dass sie zu keiner politischen Partei gehören.

Beamte und Demonstranten verhalten sich so, als sei die totale Konfrontation der einzige Weg

Am Samstagnachmittag stehen vor der Oper ein Maler, Mitte vierzig, und sein junger Mitarbeiter, Anfang zwanzig. Sie sind am Morgen in Orléans losgefahren, um gegen Macron zu demonstrieren. Um ihre Hälse baumeln Atemmasken, die sie sonst bei der Arbeit mit giftigen Lacken verwenden. Heute sollen die Masken sie gegen Tränengas schützen. Die Polizei "haut einfach auf uns drauf", sagen sie. Und tatsächlich verhalten sich sowohl Beamte als auch Demonstranten in den folgenden Stunden so, als sei die totale Konfrontation der einzig mögliche Umgang miteinander. Die Polizei sperrt ganze Straßenzüge großräumig ab und drängt die Protestierenden mit Gummigeschossen, Tränengasgranaten und Wasserwerfern zurück. Die Demonstranten wiederum halten es offenkundig für normal, dass sie ihre Aktionen nicht anmelden und spontan den Verkehr lahmlegen.

An jeder zweiten Straßenecke begegnen einem im Pariser Zentrum an diesem Samstag Menschen in gelben Westen. Meist denken sie gerade darüber nach, was sie als Nächstes tun können, um der Polizei auszuweichen. Es sind Strategiespiele, wie man sie vom schwarzen Block kennt, von radikalen Rechten oder radikalen Linken. Hier aber werden sie von Menschen aufgeführt, die nicht nur so aussehen, als würden sie am Montag wieder Brot verkaufen oder Schüler unterrichten, sondern die das auch tatsächlich tun. Viele der Westenträger sind zwischen 40 und 50 Jahre alt, es sind viele Frauen unter ihnen. Und sollte es sich in Teilen um eine rassistische Bewegung handeln, dann wäre es eine rassistische Bewegung, die Menschen aller Hautfarben offensteht.

© SZ vom 03.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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