Stoiber und die CSU in der Krise:Weißblaue Wendezeit

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Die Ära Stoiber geht zu Ende. Der Ministerpräsident macht Fehler über Fehler. Er war viele Jahre absoluter Herr der Lage. Nun ist er nicht einmal mehr Herr seiner selbst.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Alles hat seine Zeit: Das Wort aus dem Alten Testament wird, als Mahnung oder Trost, an den großen Wendepunkten des Lebens gern vorgetragen. Es ist von erhabener Wahrheit: ,,Es gibt eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen." Der Satz paßt auch auf die CSU; sie steht an einem Wendepunkt ihrer Geschichte: ,,Es gibt eine Zeit zum Steinewerfen und eine zum Steinesammeln. Eine zum Behalten und eine zum Wegwerfen.

Eine zum Zerreißen und eine zum Zusammennähen". Tanzen und Lachen sind in der CSU vorbei. Es ist die Zeit des Steinewerfens auf den Partei- und Regierungschef, den sie einst wie ein höheres Wesen verehrt und dessen nun kollabierter Autorität sie sich lustvoll unterworfen hatte.

Die Steinigung Stoibers fällt nicht nur deswegen so heftig aus, weil er selbst, die Staatskanzlei und die Parteizentrale schier über Nacht alle Fähigkeit zu ausgebufftem Krisenmanagement und klarer Analyse verlernt zu haben scheinen. Es ist, als erlebe man nun die blanke Unfähigkeit. Aber das allein ist es nicht: Mit ihrem Hohn verdecken viele Kritiker Unbehagen und Scham darüber, dass sie Edmund Stoiber so lange gehuldigt haben - sei es aus Überzeugung, Berechnung oder Heuchelei.

Stoiber als Riese Antäus

Alles hat seine Zeit. Stoibers Zeit ist vorbei. Nach seinem Lebensalter müßte das nicht so sein; er ist 65, also erst so alt wie Strauß in seiner stärksten Zeit. Aber er regiert nun schon seit 14 Jahren und hat sich die Partei so zu Willen gemacht, dass sich viel Widerwillen entwickelt hat; aus dem Respekt vor ihm ist Überdruss an ihm geworden; lange gestaute Kritik explodiert wie ein Vulkan. Das mag undankbar sein; aber Demokratie ist keine dankbare Staatsform, auch nicht in ihrer bayerischen Ausformung.

Der Chefministerpräsident ist nicht mehr nur in Berlin, er ist auch zu Hause in Bayern nicht mehr zu Hause. Deswegen machte und macht er Fehler über Fehler. Er war viele Jahre absoluter Herr der Lage; nun ist er nicht einmal mehr Herr seiner selbst. Es ergeht ihm wie dem Riesen Antäus: Der brauchte die Berührung mit der Heimaterde, weil er mit jeder Berührung neue Kraft schöpfte.

Herakles bezwang ihn, indem er ihn vom Boden hochhob und in der Luft erwürgte. Stoiber erledigt auch das noch selbst: Er hat die Landtagswahl von 2003 glanzvoll gewonnen, aber dann die Bodenhaftung verloren; weil er zeigen wollte, welchen Kanzler Deutschland an ihm gehabt hätte; verlor er Maß,Ziel und Instinktsicherheit. Ausgerechnet er, der mit dem Stolz der Bayern auf ihr Land erfolgreich Politik gemacht hat, hat diesen Stolz verletzt, als er sein Superministeramt in Berlin nicht antrat.

Seitdem ist er Ministerpräsident auf Bewährung; er hat sie nicht bestanden. Zwar konnte er zeitweise die obere und mittlere Parteiebene wieder gewinnen, aber nicht die Basis und nicht das Volk. Das kann er auch nicht mehr schaffen: Stoiber ist ein Politiker, der sich wohlfühlen muss, um gut zu sein. Weil er dieses Wohlfühl-Gefühl aber nur noch in immer kleineren Kreisen, zuletzt nur noch im Beraterkreis, haben kann, ist er nicht mehr so gut, wie es notwendig wäre.

Die Stoiber-Ära war die Zeit der größten Erfolge der CSU. Stoiber hat in vielen Wahlen seinen Mentor Franz Josef Strauß überflügelt, er hat die Partei noch stärker auf sich ausgerichtet; er hat sie nach Strauß und Streibl auf wunderbare Weise erneuert und in den siebten Himmel gehoben: Die Zweidrittelmehrheit, mit der die CSU im Landtag sitzt, ist das große Finale der großen Zeit der CSU. Man kann tief fallen, wenn man so hoch gestiegen ist; das gilt für Stoiber, das gilt auch für die CSU.

Noch hat die Partei ihre gesunkene bundespolitische Bedeutung nicht verkraftet. Und nun steht sie vor einer Zeit des Zerreißens, vor der größten Krise seit 1954.

Damals war sie zwar mit (damals stolzen, heute bescheidenen) 38 Prozent gewählt worden - aber die vier anderen in den Landtag gewählten Parteien bildeten unter Wilhelm Hoegner einer Vierer-Koalition gegen die CSU; eine nicht offen ausgetragene Führungskrise, verbunden mit internem Richtungsstreit, hatten zu dieser größten Niederlage geführt.

Wenn die Wahlen 2008 zum CSU-Desaster werden, könnte der Partei wieder so etwas bevorstehen - eine Viererkoalition aus SPD, Grünen, FDP und Freien Wählern mit der Spitzenkandidatin Gabriele Pauli.

Das wäre der GAU für die CSU. Sie hat nämlich den von ihr gern zitierten Satz, dass es außerhalb Bayerns kein Leben gebe, wie folgt variiert: Außerhalb der CSU gibt es kein Bayern. Wenn die Identität von Bavarizitiät und Partei falsifiziert wäre, wären Macht und Mythos der CSU gebrochen.

Damals, vor einem halben Jahrhundert, war es so: Die CSU brach die Bayernpartei im Jahr 1957 mit brachialen Mitteln aus der Viererkoalition heraus, bereitete ihr den Exitus und machte sich selbst zum Erben. Seitdem, seit 50 Jahren, regiert die CSU das Land, davon 45 Jahre mit absoluter Mehrheit.

In dieser Zeit hat sie das schöne Bayernland neu erfunden. Sicher: In der Geschichte der Partei hat es heftige Turbulenzen gegeben nach dem Tod von Strauß und in der Endphase Streibl vor allem. Aber das Wurzelwerk der CSU war intakt; das ist es nicht mehr. Wenn die geordnete Übergabe der Partei- und Regierungsgeschäfte nicht gelingt, wird 2007 ein immerwährendes Requiem für die CSU.

Stoiber hat in seinem politschen Leben viel gelernt; nun muss er Abtreten lernen. Er hatte sich zur einzigen Klammer gemacht, die die Partei zusammenhält.

Wenn sie bricht und nicht ersetzt werden kann, fliegt der schwarze Laden auseinander. Schon vor einem guten Jahr hatte Günter Beckstein gesagt, dass er nicht unter einem Regierungschef Huber arbeiten wird; so klingen die Kurzmeldungen aus dem kalten Krieg der Partei: Altbayern gegen Franken, Sozial- gegen Wirtschaftspolitiker, Junge gegen Alte, CSU-Landesgruppe in Berlin gegen Landtagsfraktion.

Ohne Verklammerung verliert die CSU sich selbst. Dann funktioniert auch die genial-pragmatische Dialektik nicht mehr, die widersprüchlichste Positionen vereinen konnte - und die in dem Satz gipfelt, man sei konservativ und stehe damit an der Spitze des Fortschritts.

Viererkoalition gegen die CSU

Fünfzig Jahre CSU-Regierung waren gewiß keine notwendige Voraussetzung für die gute Entwicklung Bayerns. Aber: Die schwarze Monochromie hat das Land im Guten und Schlechten geprägt; es gab eine Koninuität der Elitenbildung.

Das war nicht demokratisch, aber praktisch. Nicht umsonst gilt der bayerische Staatsapparat als der beste in Deutschland. Die CSU konnte sich (mit dem Preußen Tucholsky) sagen: ,,Was brauchst du Grundsätze, wenn du einen Apparat hast?'' Aber auf einmal ist dieser Apparat an der Schaltstelle defekt.

Das ist eine Katastrophe für die CSU, aber nicht für das Land. Es weiß zwar keiner mehr, weil es so lange her ist: Aber die Jahre der Viererkoalition waren recht gute Jahre. Das ,,Handbuch der bayerischen Geschichte'' registriert viel Aufschwung, kluge Landesplanung und glänzende Zusammenarbeit mit dem Bundesatomminister Franz Josef Strauß.

© SZ vom 13.01.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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