Steuerreform:In Trippelschritten Richtung Gemeinsamkeit

Lesezeit: 3 min

Öffentlich streiten Regierung und Opposition über das Vorziehen der Steuerreform, doch hinter verschlossenen Türen reift längst und parteiübergreifend die Einsicht: Das Steuersystem muss radikal umgebaut werden.

Von Ulrich Schäfer

(SZ vom 12. November 2003) Morgens im Bundestag hatten sich Hans Eichel und Friedrich Merz noch beschimpft. Der Finanzminister mokierte sich über die Widersprüche innerhalb der Union, Merz wiederum hielt dem Kassenwart vor, er bewege sich "fernab der Wirklichkeit". Abends dann, im Zollernhof, einem wuchtigen Bau am Berliner Boulevard Unter den Linden, war von den öffentlichen Attacken nichts mehr zu spüren.

Vielleicht lag es an den launigen Fragen, die Maybrit Illner, die Moderatorin von "Berlin Mitte", zuvor gestellt hatte, vielleicht auch daran, dass Merz und Eichel begriffen haben: Wenn Deutschland gesunden soll, müssen sich Regierung und Opposition - notfalls in Trippelschritten -aufeinander zubewegen.

Eine halbe Stunde redeten der CDU-Finanzexperte und der Finanzminister nach der Talkshow-Aufzeichnung, teils allein, teils mit Beratern, ehe sie gegen 20 Uhr davoneilten, um mit ihren Ministerpräsidenten das weitere Vorgehen im Bundesrat zu bereden. Anfang nächsten Jahres, so hatten die beiden verabredet, wolle man in aller Ruhe über Merz- radikales Steuerkonzept verhandeln. Das war am Donnerstag vergangener Woche.

Merz sendet Kompromiss-Signale

Seither ist manches anders. Merz, der scharfe Redner, gibt sich plötzlich ganz konziliant. Er sendet, wie am Dienstag bei einer Veranstaltung der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", Kompromiss-Signale aus, wenn es um das Vorziehen der rot-grünen Steuerreform geht. Und er verrät, dass man sich beim nächsten Schritt ebenfalls aufeinander zubewegt.

Auch über die radikale Vereinfachung des Abgabenrechts werde man im Zuge des Vermittlungsverfahrens von Bundestag und Bundesrat reden - nicht im Detail, aber prinzipiell. Die Regierung habe "in Aussicht gestellt", dass sie eine entsprechende Protokollerklärung abgeben werde - eine schriftliche Verpflichtung also, dieses Thema später in aller Ruhe anzugehen, und vor allem: dies gemeinsam mit der Union zu tun.

Ja, man sei zu solch einem Schritt bereit, bestätigen Eichels Strategen. Demnach würde die dritte und letzte Stufe der Steuerreform vorgezogen, die Steuersätze könnten am 1. Januar 2004 auf 15 bis 42 Prozent sinken. Sobald das Vermittlungsverfahren beendet ist, könnten Verhandlungen über eine noch weiter gehende Reform beginnen, die ein Jahr später in Kraft träte: "Wenn die Union alle Steuersubventionen abschaffen will, hat sie uns sofort auf ihrer Seite", heißt es dazu im Finanzministerium.

Staatssekretär: Abschied vom Formeltarif vorstellbar

Vorige Woche hatte Eichels Staatssekretär Volker Halsch angedeutet, dass die Regierung sich in diesem Zusammenhang sogar einen Stufentarif à la Merz - und damit den Abschied vom Formeltarif - vorstellen kann: "Mit Verlaub, das ist Wurst", sagte Halsch in einer Rede an der Berliner Humboldt-Universität.

Konzepte für einen weit reichenden Abbau von Steuersubventionen liegen jedenfalls längst im Ministerium vor. Bereits Halschs Vorgänger Heribert Zitzelsberger, der geistige Vater der jetzigen Steuerreform, hatte mit Vorarbeiten dazu begonnen.

Die Grünen würden, wie deren Finanzexpertin Christine Scheel sagt, "mit großer Begeisterung" an einem parteiübergreifenden Konzept mitarbeiten: "Man muss, wenn das Vermittlungsverfahren vorbei ist, ganz pragmatisch daran gehen", sagt Scheel.

Die FDP wirbt ohnehin seit Jahren für eine radikale Vereinfachung des Steuerrechts, und so sieht Merz inzwischen ein "gewisses Momentum" für eine solche Reform. Er habe fast nur Zustimmung für sein Konzept vernommen, von der Regierung bis zur PDS. "Die einzigen, die mich kritisiert haben, sind CSU-Politiker", sagt er.

Trotz Konsens kein "großer Wurf"

Ob jedoch am Ende wirklich der ganz große Wurf gelingt und das Abgabenrecht so verständlich wird, dass jedermann seine Steuererklärung auf einer Postkarte oder via Mausklick im Internet abgegeben kann, ist trotz aller Konsenszeichen zu bezweifeln. Die Lobbyisten werden dies schon verhindern. "Es gibt keinen Industriestaat, der auf Lenkungsnormen im Steuerrecht gänzlich verzichtet", gibt Gernot Mittler, der Finanzminister von Rheinland-Pfalz zu bedenken.

Der SPD-Minister unterstützt - wie seine Kollegen aus Bayern, Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen - mit Geld und Personal den ehemaligen Verfassungsrichter Paul Kirchhof, der am Donnerstag sein eigenes Reformkonzept in Berlin vorstellen will. Und doch bezweifelt Mittler, "dass sich das heutige Recht durch einen Big Bang einfach abschaffen lässt".

Einfachheit allein, so Mittler, könne kein Kriterium für ein modernes Steuerrecht sein, es müsse auch sozial ausgewogen sein und "fiskalisch berechenbar". Soll heißen: Einen allzu radikalen Schnitt werde es schon deshalb nicht geben, weil unkalkulierbare Folgen für die öffentlichen Haushalte drohen. Ähnlich sieht dies der Vize der SPD-Bundestagsfraktion, Joachim Poß: "Man kann jeden beliebigen Tarif aufs Papier zeichnen - aber er muss auch bezahlbar sein."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: