Staat und Kirche:Risse im Fundament

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Christen sind auf dem Weg zur Minderheit in Deutschland. Das lässt den Status der Kirchen zunehmend als ungerechtfertigtes Privileg erscheinen. Sie müssen deshalb auf Ansprüche verzichten.

Von Matthias Drobinski

Friedrich Naumann fand die Lösung, wenige Wochen vor seinem Tod am 24. August 1919. Die Weimarer Nationalversammlung stritt heftig, welche Stellung die Kirchen in der neuen Verfassung haben sollten. Die Sozialisten wollten eine strikte Trennung von Staat und Kirche wie in Frankreich, das katholische Zentrum und die Deutschnationalen möglichst viele Kirchenprivilegien in die neue Zeit retten. Naumann, der Liberale und evangelische Theologe, erarbeitete einen Mittelweg: Der Staat sollte säkular sein, die Kirchen aber einen eigenen Status haben, Kirchensteuer inklusive. Die Weimarer Verfassung lebte keine 14 Jahre - der Kompromiss gilt, als Bestandteil des Grundgesetzes, noch heute.

Er hat sich ja auch bewährt. Die Kirchen sind zu wichtigen Stützen des Staates und der Demokratie geworden, ihre Sozialträger groß und erfolgreich. Die theologischen Fakultäten sind weltweit führend, die Pfarrer gut bezahlt; der Religionsunterricht läuft störungsfrei. Und die Kirchensteuer hat gerade wieder Rekordeinnahmen beschert.

Und doch werden Risse am Fundament dieses hundert Jahre alten Gebäudes sichtbar. Die Christen sind auf dem Weg zur Minderheit, und je weniger Bürger sich einer Kirche zugehörig fühlen, desto mehr erscheint der Status dieser Kirchen als ungerechtfertigtes Privileg. Die europäischen Gerichte engen zunehmend den Bereich ein, in dem die Kirchen ein eigenes Arbeitsrecht durchsetzen können. Die Integration des Islams ist schwierig geworden, seit die türkisch-islamische Ditib als Partnerin faktisch ausfällt. Warum nicht gleich ein laizistisches Deutschland schaffen, wie beim Nachbarn Frankreich?

Das französische Modell ist aber bestenfalls auf dem Papier besser. Es entschärft religiöse Konflikte eher schlechter als das deutsche, es macht den Staat zur mächtigen, manchmal übermächtigen Sozial- und Sinnagentur. Ein solcher Laizismus würde Deutschland nicht zum Unrechtsstaat machen - er würde nur schlechter funktionieren. Die große Stärke der deutschen Staat-Kirchen-Verfassung ist, dass der Staat sich überall dort selbst begrenzt, wo er vorstaatlichen Akteuren das Feld überlassen kann: den Kirchen wie den humanistischen Vereinigungen, den jüdischen Kultusgemeinden wie den muslimischen Gemeinschaften, wenn sie sich den Regeln gemäß organisieren.

Deshalb lohnt es sich, Naumanns Kompromiss zu erhalten. Es lohnt sich um der Selbstbegrenzung des Staates willen, die - innerhalb der Gesetze - eine kulturelle Vielfalt ermöglicht, wo ein Laizismus staatsgläubige Uniformität schaffen würde. Dafür aber bräuchte das Staat-Kirchen-Verhältnis eine Renovierung. Die Kirchen als die größten Institutionen müssen auf einige ihrer Ansprüche verzichten, die die innere Glaubwürdigkeit des Modells untergraben. Muss zum Beispiel der Staat immer noch Ausgleichszahlungen für Besitztümer zahlen, die vor Hunderten Jahren enteignet wurden?

Naumanns Kompromiss sah schon vor 100 Jahren die Ablösung dieser Staatsleistungen vor, doch bis heute gibt es sie. Warum die halbe Milliarde Euro, die da Jahr für Jahr fließt, nicht in einen Fonds überführen, der kulturelle und soziale Projekte fördert, für die sonst kein Geld da wäre? Für die Kirchen wären das nicht einmal fünf Prozent ihrer Einnahmen. Für ein künftiges Miteinander von Staat und Religionen aber wäre es ein großer Glaubwürdigkeitsgewinn.

© SZ vom 12.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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