Sport und Politik:Tore, Titel und Tyrannen

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Wird Dynamo immer Meister, ist das langweilig: Fußball ist in Demokratien spannender als in Diktaturen, so eine Studie. Doch die Herrschaft des Geldes könnte das ändern.

Von Javier Cáceres

Auch der Fußball ist, um General von Clausewitz zu paraphrasieren, lediglich die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Beispiele dafür gibt es zuhauf. Bei der Europameisterschaft 2020 zum Beispiel werden die Spielstätten quer über den Kontinent verstreut sein; dies soll den Zusammenhalt der Europäischen Union fördern, hoffen vor allem die Politiker in Brüssel. Eine Studie fördert nun einen neuen Aspekt der mannigfaltigen Beziehungen zwischen Fußball und Politik zutage: Die obersten Fußball-Ligen sind in Demokratien offener und abwechslungsreicher als in Diktaturen jedweder Couleur.

Die Studie ist in der aktuellen Ausgabe von Social Science Quarterly enthalten, einer Fachpublikation aus dem Fußball-Schwellenland USA. Die Politik- und Wirtschaftswissenschaftler werteten die Daten aus etwa 2 000 Meisterschaftsrunden in fast 50 europäischen Ländern aus. Die Schlussfolgerung der Autoren: "Das Maß, in dem bestimmte Klubs ihre nationalen Ligen dominieren, hängt vom politischen Regime ab."

Konkret heißt das: Jene Vereine, die zwischen 1950 und 2011 in ihren jeweiligen Ländern die meisten Titel holten, gewannen in Diktaturen mehr als 48 Prozent aller Meisterschaften. In Demokratien lag dieser Quotient bei lediglich 40,75 Prozent. Zu den eklatantesten Fällen zählt das realsozialistische Bulgarien. Dort räumte ZSKA Sofia etwa 60 Prozent der Meisterschaften ab. Zum Vergleich: In Dänemark und Frankreich gewannen der FC Kopenhagen beziehungsweise der AS Saint-Étienne nur je zehn Meisterschaften und damit lediglich 20 Prozent der Titel. Interessant ist, was die Studie über die DDR zu berichten weiß. Für die Zeit vor 1979 ermittelten sie für die Oberliga sogar "einen demokratieähnlichen Wert", wie Politikwissenschaftler Ignacio Lago sagt, der die Studie mit seinen beiden Brüdern, einem Wirtschafts- und einem Sportwissenschaftler, gemeinsam verfasst hat. Dynamo Dresden hatte bis 1979 etwa 30 Prozent aller Titel geholt; danach wurde es Stasi-Chef Erich Mielke offenkundig zu bunt: Sein Lieblingsklub, der BFC Dynamo Berlin, wurde bis 1988 zehn Mal hintereinander Meister.

Einen wesentlichen Grund für die Dominanz osteuropäischer Spitzenklubs sehen die Autoren darin, dass sie in den realsozialistischen Staaten häufig mit den Streitkräften verbandelt waren. Die Rekrutierung von Soldaten und die fußballerische Talentsuche gingen Hand in Hand. Anders als in faschistischen Diktaturen wie Portugal oder Spanien stürzten die Erfolgsklubs Osteuropas nach der Demokratisierung häufig ins Bodenlose, zum Beispiel Dukla Prag oder der BFC Dynamo. Sie hielten der Marktwirtschaft nicht stand. Konkurrenzklubs warben talentierte Spieler ab, wenn die nicht von selber in stärkere Ligen im Ausland abwanderten.

Dass die Tyrannei des Geldes neue Monopole geschaffen hat, steht auf einem anderen Papier. Klubs wie Paris St. Germain oder der FC Bayern sind in ihren Ländern Alleinherrscher - die Bayern gewannen zwischen 1950 und 2011 insgesamt 21 Meisterschaften; mehr als zum Beispiel der albanische Rekordmeister KF Tirana (18). Studien-Autor Lago sagt dazu: "Niemand hat behauptet, der Kapitalismus sei gerecht.

© SZ vom 21.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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