Spitzengespräch im Kanzleramt:Der Gesundheitsfonds kommt - noch später

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Der siebenstündige Gesundheitsgipfel hat nun doch eine Reihe konkreter Ergebnisse gebracht. Obwohl sich eher die Union durchsetzte, stimmte CSU-Chef Stoiber nur unter Vorbehalt zu.

Um zwei Uhr morgens gaben Merkel und Stoiber gemeinsam mit SPD-Chef Kurt Beck die Ergebnisse bekannt. In den zentralen Streitpunkten private Krankenversicherung, Zusatzbeiträge und mögliche Belastung einzelner Länder verständigten sich die Koalitionsparteien nach schwierigen Verhandlungen auf Kompromisse.

Der bayerische Ministerpräsident erklärte, seine Partei werde genau überprüfen, wie der Gesetzestext im Detail ausformuliert werde. Erst dann seien alle Auswirkungen der Einigung zu erkennen.

Die Kernpunkte der Gesundheitsreform:

Gesundheitsfonds: Der eigentlich für den 1. Januar 2008 geplante Start des Fonds wird um ein Jahr auf Anfang 2009 verschoben. Dies wird damit begründet, dass erst dann der neue Finanzausgleich der Krankenkassen sowie das neue Vergütungssystem für Ärzte eingeführt werden.

In den Fonds fließen die normalen Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie ein kleiner Steuerzuschuss. Am Anfang soll so viel Geld im Fonds sein, dass die erwarteten Gesundheitsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung zu 100 Prozent damit bezahlt werden können. Später soll der Fonds mindestens 95 Prozent der kalkulierten Ausgaben abdecken.

Pauschale pro Versicherten: Die Krankenkassen bekommen aus dem Fonds einheitliche Pauschalbeträge zugewiesen. Für Alte und Kranke fallen diese höher aus als der Durchschnitt, weil sie mehr Kosten verursachen - dafür gibt es künftig einen neuen Finanzausgleich, der die Krankheitsrisiken besser ausgleichen soll als bisher. Dieser so genannte Risikostrukturausgleich orientiert sich an 50 bis 80 besonders teuren Krankheiten, bei denen die Leistungsausgaben je Versicherten um 50 Prozent über dem Durchschnitt der gesamten Ausgaben liegen. Die SPD hatte ursprünglich mehr Krankheiten berücksichtigen wollen.

Zusatzbeitrag: Kommen die Kassen dennoch nicht mit dem Geld aus, dürfen sie einen Zusatzbeitrag erheben. "Dieser Zusatzbeitrag darf ein Prozent des beitragspflichtigen Einkommens nicht übersteigen", heißt es im neuen Beschluss - so wie von der SPD stets gefordert. Für Beträge bis acht Euro im Monat greift diese Klausel aber nicht. Sie dürfen, falls für die Kasse erforderlich, ohne Einkommensprüfung erhoben werden. Damit soll unnötige Bürokratie vermieden werden. Der 8-Euro-Passus ist ein Zugeständnis an die Union.

Da der Fonds am Anfang finanziell so grozügig ausgestattet werden soll, dass die erwarteten Krankheitskosten zu 100 Prozent damit bezahlt werden können, dürften nach Ansicht der großen Koalition nur vereinzelte Kassen auf einen Zusatzbeitrag angewiesen sein.

Private Krankenversicherung: Die privaten Krankenkassen müssen künftig einen "Basistarif" anbieten, der in etwa so viel abdeckt wie die gesetzliche Krankenversicherung. In diesen Tarif werden ehemalige Privatversicherte, die ihren Versicherungsschutz verloren haben, aufgenommen sowie "freiwillig Versicherte" der gesetzlichen Krankenversicherung - also die Gutverdiener. Dies gilt unabhängig davon, ob sie krank sind.

Die Versicherer dürfen aber den Beitrag weiter davon abhängig machen, ob es um einen Mann oder eine Frau geht und wie alt die Person ist. Die SPD hatte einen pauschalen Beitrag angestrebt. Der Beitrag darf nicht höher sein als der Höchstbeitrag der gesetzlichen Versicherung - derzeit gut 500 Euro im Monat. "Würde durch die Bezahlung einer solchen Prämie Hilfebedürftigkeit ausgelöst, reduziert sich dieser Tarif auf die Hälfte", heißt es in den Beschlüssen. Kann der Betroffene auch das nicht zahlen, ohne Hilfe vom Staat zu benötigen, muss dieser einen Zuschuss "im notwendigen Umfang", maximal aber 125 Euro, bewilligen.

Das heiß umstrittene Mitnahmerecht der Alterungsrückstellungen - die Portabilität -, die den Wechsel zwischen Privatversicherungen erst ermöglichen soll, wird auf ein Rechenmodell reduziert: Die Rückstellungen sollen "bei Wechsel der Versicherungen im Umfang des Basistarifs anrechnungsfähig gestaltet" werden.

Das heißt, für jemanden, der mehr hat als den Basistarif und auch bei einer neuen Versicherung mehr Schutz möchte, könnte der Wechsel ein Verlustgeschäft werden. Eine Mitnahme der Rückstellungen von der privaten Krankenversicherung bei einem Wechsel zurück in die gesetzliche, wie er ursprünglich einmal geplant war, "findet nicht statt". Das ist ein Punkt für die SPD.

Die Privatversicherungen werden also etwas flexibler gestaltet, tragen aber nicht zur Finanzierung des Gesundheitsfonds bei. SPD-Chef Beck räumte ein, er habe sich bei der privaten Krankenversicherung einen stärkeren Anteil gemeinsamer Risikovorsorge gewünscht.

Finanzausgleich der Kassen: Innerhalb des Fonds gilt zu Beginn ein regionaler Finanzausgleich: In einer "Konvergenzphase" sollen jährlich höchstens 100 Millionen Euro mehr als heute von den "reichen" Kassen in den südlichen Bundesländern zu den Kassen der "armen" nördlichen Länder fließen - ein Zugeständnis an Bayern und Baden-Württemberg.

Den Streit um die tatsächliche Größe der finanziellen Auswirkungen für die Bundesländer soll ein neues Gutachten lösen. Bayerns Ministerpräsident Stoiber fürchtet Belastungen von 1,7 Milliarden Euro für Bayern. Solche Verluste, die finanzstarke Kassen eines Landes durch den Fonds möglicherweise hinnehmen müssen, würden in Schritten über zehn Jahre verteilt.

SPD-Chef Kurt Beck betonte, diese "Sicherheitsklausel" komme wahrscheinlich gar nicht zum Tragen. Die höchste Belastung eines Landes durch den Fonds betrage nach offiziellen Statistiken 56 Millionen Euro. Alle Bürger sollten künftig versichert sein, kündigte Kanzlerin Merkel an.

Kanzlerin mit Einigung zufrieden

Die CDU-Chefin sagte weiter, die Einigung ziele auf eine weit reichende Reform, "die Deutschlands Gesundheitswesen umgestalten wird". Die Auswirkungen des Fonds auf die Kassen und der Überforderungsklausel würden zum 1. Januar 2011 überprüft. Die Koalition sei in einer komplizierten Materie "ein gutes Stück" weitergekommen. Sie betonte, die Gesetzgebung zur Gesundheitsreform gehe nun in die Endphase. Das Kabinett werde die Vorlage Ende Oktober beschließen.

SPD-Chef Beck sprach von einem "guten Kompromiss." Die Reform starte insgesamt wie geplant am 1. April 2007. Stoiber sprach von einer der größten Systemumstellungen der vergangenen Jahre.

An den Verhandlungen im Bundeskanzleramt nahmen neben den drei Parteivorsitzenden auch Vizekanzler Franz Müntefering (SPD), Kanzleramtsminister Thomas de Maizière, Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sowie die Fraktionschefs der Regierungsparteien und der Chef der CSU-Landesgruppe teil. Außerdem waren die Gesundheitsexperten der Fraktionen, Wolfgang Zöller (CSU) und Elke Ferner (SPD) dabei.

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