Spionage:Spitzel im Ornat

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In Polen werden immer mehr Priestern Geheimdienst-Kontakte vorgeworfen - der Papst ist erzürnt

Thomas Urban

Noch hängen in vielen Schaufenstern und an den Litfaßsäulen die Plakate zum Besuch des Papstes Benedikt XVI. in Polen mit dem Motto: "Bleibt fest im Glauben!" Mittlerweile ist der Disput über die Auslegung der Papstpredigten in vollem Gange. Vor allem ein Satz spaltet die Gemüter: "Man muss die arrogante Pose des Richters früherer Generationen, die zu anderen Zeiten und unter anderen Umständen lebten, vermeiden."

Papst Benedikt XVI. beim Polen-Besuch mit dem Krakauer Erzbischof Stanislaw Dziwisz, der die Geheimdienst-Kontakte intern aufklären will. (Foto: Foto: AFP)

Benedikts Worte waren offenbar auf den heftigen Streit über die "Lustration" von Priestern gemünzt. Das Wort bedeutet "Durchleuchtung", es bezieht sich auf die Offenlegung von Akten des Geheimdienstes SB, der polnischen Stasi. A

usgerechnet in der Woche vor dem Papst-Besuch hatte die Zeitung Zycie Warszawy den oft im Fernsehen auftretenden Priester Michal Czajkowski als früheren SB-Informanten entlarvt. Und am Tag nach der Abreise des Papstes wurde bekannt, dass der 82 Jahre alte Mieczyslaw Malinski, der Studienkollege und Freund Karol Wojtylas, ebenfalls dem SB Berichte geliefert haben soll.

Beide Nachrichten schockierten die polnische Öffentlichkeit. Denn beide Priester sind im ganzen Land bekannt. Sie gehörten viele Jahre lang zu den Autoren des Tygodnik Powszechny (Allgemeine Wochenzeitung), des Sprachrohrs der Reformer in der katholischen Kirche. Czajkowski hatte auch als Ko-Vorsitzender des Forums für christlich-jüdischen Dialog immer wieder den traditionellen Antisemitismus, von dem auch Teile des Klerus nicht frei seien, verurteilt und immer wieder den nationalistischen Sender Radio Maryja kritisiert.

Enthüllungen sind kein Zufall

Dass SB-Akten von zwei exponierten Befürwortern von Reformen in der Kirche ausgerechnet unmittelbar vor und nach dem Papstbesuch an die Presse weitergeleitet wurden, sieht man in Warschau nicht als Zufall.

Denn die Akten stammen aus dem Institut für das Nationale Gedenken (IPN), dem polnischen Gegenstück zur Gauck/Birthler-Behörde. Das IPN wird von Sympathisanten der nationalkonservativen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) kontrolliert.

Deren Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski hatte noch kurz vor dem Papstbesuch Radio Maryja vehement verteidigt und Kritik an dem Sender als "Angriff auf die Freiheit" gebrandmarkt - ungeachtet der Tatsache, dass diese sich auf ein Schreiben aus dem Vatikan stützt, in dem der Sender ermahnt wird, "die Autonomie der Politik" zu respektieren.

Kaczynski fordert seit langem die totale Lustration für alle Berufsgruppen, die in irgendeiner Weise "gesellschaftliche Arbeit" verrichten. Sein Zwillingsbruder Lech, der Staatspräsident, aber möchte nun die Priester davon ausnehmen. Er hat damit die Linie des Krakauer Erzbischofs Stanislaw Dziwisz, der jahrzehntelang Sekretär von Johannes Paul II. war, akzeptiert.

Dziwisz hat für seine Erzdiözese eine Kommission "Gedächtnis und Fürsorge" berufen, die eine interne "Lustration" durchführen, den einstigen SB-Konfidenten aber auch Hilfe anbieten soll. Dem Krakauer Priester Tadeusz Isakowicz-Zaleski, der viele Jahre lang vom SB schikaniert worden war, hat er verboten, die Namen von 24 geistlichen IM zu publizieren, auf die dieser in seinen SB-Akten gestoßen war.

Immer mehr Politikern des polnischen Regierungslagers dämmert es allmählich, dass sie mit der Parole von der "totalen Lustration" die gesamte Kirche in ein Zwielicht rücken könnten. Nach dem ersten landesweiten Schrei des Entsetzens und der Empörung über die Fälle Czajkowski und Malinski, die beide wohl SB-Kontakte einräumen, aber eine Zusammenarbeit bestreiten, melden sich immer mehr bedächtige Stimmen zu Wort.

Kein geringerer als der Innenminister der ersten Solidarnosc-Regierung von 1989/90, der katholische Publizist Krzysztof Kozlowski, berichtete in der jüngsten Ausgabe des Tygodnik Powszechny von einer Dienstanweisung des SB, nach der Priester auch ohne Verpflichtungserklärung als IM registriert werden konnten. Davon hätten offenbar viele SB-Offiziere Gebrauch gemacht, weil es für jeden geworbenen Geistlichen eine Prämie gegeben hätte.

Erpressbare Dorfpfarrer

Auch wurde bekannt, dass manche Priester von ihren SB-Kontakten ihren Vorgesetzten berichtet hätten. Ordensgeistliche hätten sogar Geldprämien des SB an ihre Oberen weitergeleitet. Auch der greise Malinski erklärt, er habe Johannes Paul II. stets von seinen SB-Kontakten berichtet. Andere Priester, deren Namen auf den SB-Listen stehen, erzählen Ähnliches: Die Bischöfe hätten über diese Kontakte auch ein Bild von den Absichten der kommunistischen Führung bekommen wollen.

Doch bestreiten auch Gegner der "totalen Lustration" nicht, dass viele Priester sich schuldig gemacht hätten. Nach Schätzungen von IPN-Historikern waren zehn bis fünfzehn Prozent der Priester dem SB zu Diensten. Der SB hatte dabei nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, Geistliche unter Druck zu setzen - die kommunistische Arbeiterpartei sah die Kirche als Hauptgegner an.

Selbst der kleinste Dorfpfarrer wurde überwacht. Es gab vielerlei Anlässe, sie zu erpressen: Alkohol am Steuer, pädophile Neigungen, sexuelle Belästigung. Oder sie einzuschüchtern, durch Einbrüche und Überfälle. In den SB-Akten sind hunderte, womöglich tausende derartiger Fälle dokumentiert. Wer sich heftig widersetzte, riskierte sein Leben: Gut ein Dutzend Priestermorde, die nach Meinung von IPN-Experten einem Todeskommando des SB zuzuschreiben sind, warten noch auf ihre Aufklärung, die Akten wurden noch nicht entdeckt.

Der Rektor der Päpstlichen Akademie Krakau, Bischof Tadeusz Pieronek, sieht in dem heftigen Streit über die Lustration einen nachträglichen Erfolg des SB: "In der Kirche streitet man, und niemand aus der SB-Führung wird zur Verantwortung gezogen."

© SZ vom 7. Juni 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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