Spesenskandal:Briten fordern Neuwahlen

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Auf Parlamentsspesen beantragte Entenhäuschen führen zu Konzequenzen: Die Mehrheit der Briten wünscht sich ein neues Parlament.

, London

Mit einem dramatischen Bekenntnis ging der britische Unterhausabgeordnete der Konservativen, Sir Peter Viggers, am Wochenende an die Öffentlichkeit. Das von ihm auf Parlamentsspesen beantragte Entenhäuschen für seinen Gartenteich sei von den Tieren leider nicht goutiert worden, räumte der 71-jährige Politiker und Hobbygärtner ein. 1600 Pfund (1800 Euro) an öffentlichen Geldern hatte Viggers für das luxuriöse Entenhaus beantragt.

DerDaily Telegraphveröffentlicht seit mehr als zwei Wochen brisante Details über Spesenabrechnungen von Abgeordneten (Foto: Foto: AFP)

Seinen britischen Humor habe Viggers auch in einem der größten Politskandale des Landes nicht verloren, meinten einige seiner Parteifreunde. Für den Chef der oppositionellen Tories im Unterhaus, David Cameron, ging es allerdings weniger um eine spaßige Angelegenheit. Er stellte Viggers umgehend vor die Alternative, entweder selbst seinen Rücktritt zu erklären oder aber gefeuert zu werden. Der Entenhaus-Spesenritter zog ersteres vor. Der Abgeordnete, der seit 1974 für das südenglische Gosport im Parlament saß, zeigte sich dann reumütig in der Öffentlichkeit. Er hätte die Rechnung niemals einreichen dürfen, meinte Viggers.

Die täglich neuen Berichte über den Spesenmissbrauch setzen die Regierung und die etablierten Parteien zunehmend unter Druck. In Meinungsumfragen sprechen sich zwei Drittel der Briten für rasche Neuwahlen aus. Dabei könnte herauskommen, dass sich immer mehr Wähler von den großen Parteien abwenden. In einer von der Tageszeitung Independent veröffentlichten Umfrage würden 80 Prozent der Befragten unabhängige Kandidaten unterstützen, die gegen die betroffenen Politiker antreten sollten.

Befürchtet wird auch, dass die nationalistische BNP (British National Party) bei den Wahlen zum europäischen Parlament am 4. Juni erhebliche Stimmenzuwächse erzielen könnte. BNP-Aktivisten verteilen in den britischen Großstädten derzeit Tausende von Handzettel, auf denen die etablierten Parteien als Handlanger eines korrupten politischen Systems gebrandmarkt werden. Labour-Premier Gordon Brown hat indes alle Forderungen nach vorgezogenen Neuwahlen zurückgewiesen. Brown muss bis Juni 2010 Wahlen ausrufen.

Der Skandal zieht immer weitere Kreise

Der Skandal zieht immer weitere Kreise. So stehen jetzt Abgeordnete am Pranger, die Familienmitglieder angeblich für sich arbeiten ließen und deshalb Staatsgelder kassierten. Die Sonntagszeitung Sunday Telegraph listete mehrere Parlamentarier auf, die neben Zuschüssen für ihren Hauptwohnsitz auch Geld für einen Zweitwohnsitz beanspruchten, weil dort ein Familienmitglied für sie arbeiten würde. So habe etwa der Konservative Derek Conway, der nach eigenen Angaben seine Frau beschäftigt, staatliche Zuschüsse für einen Wohnsitz in Northumberland beansprucht.

Der Abgeordnete habe angegeben, dort parlamentarische Arbeit zu verrichten, obgleich das Haus 530 Kilometer von seinem Wahlkreis in London entfernt ist. Conway hatte vorher bereits angegeben, seinen Sohn als Rechercheur zu beschäftigen. Da es aber keine Nachweise über dessen Arbeit gab, schlossen die Tories Conway im Januar aus, so dass er nun als Unabhängiger im Parlament sitzt.

Der Daily Telegraph veröffentlicht seit mehr als zwei Wochen brisante Details über Spesenabrechnungen von Abgeordneten aller Parteien und hat damit das Parlament in eine seiner schwersten Krisen gestürzt. Nach einer Untersuchung der Plymouth University könnten bei der nächsten Parlamentswahl 325 der insgesamt 624 Unterhausabgeordneten ihren Sitz verlieren - entweder durch Rückzug, Rücktritt oder Wahlniederlage. Bislang sind erst 30 Abgeordnete wegen überzogener Spesenabrechnungen von ihren jeweiligen Parteiführungen zum Rücktritt gezwungen worden.

Ein Schlüsselmann bei der Aufdeckung des Skandals äußerte sich nun erstmals in der Öffentlichkeit. Es handelt sich um den Versicherungsberater John Wick, der eine CD mit Details über die Abrechnungen von Abgeordneten an den Daily Telegraph weitergab. Er sei stolz, eine Rolle in der Angelegenheit gespielt zu haben, erklärte Wick, ein früherer Offizier der britischen Spezialeinheit SAS, dem Blatt. Er betonte, die CD sei nicht aus dem Parlament "gestohlen" worden. Vielmehr sei man durch laxe Sicherheitsvorkehrungen im Unterhaus an die CD gekommen. Nähere Angaben über die Quelle machte er jedoch nicht.

Der Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, warnte indes vor einer "systematischen Erniedrigung" der Politiker. Die immer neuen Enthüllungen könnten dem Vertrauen in die Demokratie schaden, schrieb Williams in der Times. Zuvor hatten Abgeordnete kritisiert, dass sich der Spesenskandal zu einer "Hexenjagd" entwickle.

© SZ vom 25.05.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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