SPD-Streit zum Arbeitslosengeld I:Müntefering zweifelt an Finanzierbarkeit

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Wenige Tage vor dem SPD-Parteitag gehen die Diskussionen um Veränderungen an der Agenda 2010 weiter. Vizekanzler Müntefering knüpft die Umsetzung eines verlängerten Arbeitslosengeldes I an die Finanzierbarkeit - die Hessen-SPD stellt derweil bereits weitere Forderungen auf.

Auch wenige Tage vor dem SPD-Parteitag in Hamburg ist die Diskussion um Änderungen an der Agenda 2010 in der Partei noch nicht verstummt. Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) knüpft die Umsetzung eines verlängerten Arbeitslosengeldes I (ALG I) für Ältere an die Finanzierbarkeit. Wenn sich nach dem bevorstehenden SPD-Parteitag in der großen Koalition ein gemeinsames Konzept abzeichne, müsse auch ermittelt werden, "wie teuer es ist und ob man es sich leisten kann", sagte Müntefering der Frankfurter Rundschau.

Das Vorhaben müsse daran nicht scheitern, aber Parteitagsbeschlüsse seien auch noch "kein Koalitions- oder Regierungshandeln". Nicht er als Arbeitsminister, sondern die Koalitionsfraktionen seien nach dem SPD-Parteitag am Zug, einen umsetzbaren Vorschlag zu machen.

SPD-Chef Kurt Beck verteidigte die von ihm und wohl der Mehrheit seiner Partei befürworteten Änderungen an der Agenda 2010. Es gehe dabei nicht um einen Linksruck der Sozialdemokraten, sagte Beck der Neuen Presse in Hannover. "Links und rechts sind hier nicht die richtigen Begriffe", betonte er.

Gegen notwendige Veränderungen dürfe man sich nicht sperren, sagte Beck. Die Agenda 2010 der früheren rot-grünen Bundesregierung sei richtig gewesen. Sie müsse jetzt aber weiterentwickelt werden. In den vergangenen Jahren sei "zu oft der vollständigen Ökonomisierung der Gesellschaft das Wort geredet" worden. Es gehe dabei um den Respekt vor Leistung und denen, die sie erbringen.

SPD-Vize Peer Steinbrück warnte indes vor weitgehenden Änderungen an dem Reformwerk der Agenda 2010. Der Bundesfinanzminister sagte kurz vor dem Hamburger SPD-Parteitag der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, soziale Gerechtigkeit bemesse sich nicht allein an der Höhe von Transferzahlungen.

Bewusste Rollenteilung

Mit Blick auf den Vorstoß des Parteivorsitzenden Kurt Beck zur längeren Auszahlung des ALG I an Ältere sagte Steinbrück, wenn es der Partei helfe, sich zu sammeln, "dann ist es gut". Er habe keine Sorge, dass Beck "Schleusen öffnen will, in deren Folge die Agenda 2010 weggespült wird".

Ernst würde es, "wenn nennenswerte Teile der Partei die Agenda fundamental infrage stellen", sagte Steinbrück. Er sagte, der Parteivorsitzende habe die Stimmung in der Partei und beim Wähler zu berücksichtigen.

Auch der Vizekanzler deutete an, dass der öffentliche Streit zwischen ihm und Parteichef Beck über das ALG I auch als eine bewusste Rollenteilung verstanden werden könnte. Die SPD müsse sich "politisch möglichst breit" aufstellen, sagte er. Der jüngste innerparteiliche Streit müsse sie dabei "nicht belasten", wenn es gelinge, zwischen Regierung und Parteispitze "die Arbeit klug aufzuteilen".

Beck hatte sich im Parteivorstand für die ALG-I-Verlängerung stark gemacht, Müntefering war mit seinem Widerstand dagegen gescheitert. Beck selbst hält Vizekanzler Müntefering auch nach der Auseinandersetzung für "die unbestrittene Führungsfigur der SPD in der Regierung", wie er der Passauer Neuen Presse sagte.

Müntefering mache "eine hervorragende Arbeit". Es habe zwar "eine unterschiedliche Auffassung in einer Sachfrage gegeben". Das Votum, das Müntefering beim SPD-Parteitag 2005 für die Vizekanzlerschaft erhalten habe, gelte aber für die gesamte Legislaturperiode: "Es war nie Frage gestellt und es wird auch nicht in Frage gestellt."

Problem Kinderarmut

Unterdessen forderte die Hessen-SPD weitere Korrekturen an Agenda 2010. Angesichts der deutlichen Preissteigerungen der vergangenen Monate sei eine schnellere Anhebung der Hartz-Regelsätze notwendig, sagte die hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.

Dies treffe gerade Familien mit Kindern: "Wir haben ein großes Problem mit Kinderarmut. Ich erlebe, dass Kinder in der Schule vom Mittagessen abgemeldet werden, dass sie nicht auf Geburtstage gehen, weil das Geld nicht für ein Geschenk reicht. Das heißt: Wir haben eine frühe Ausgrenzung, und da müssen wir nacharbeiten." Die SPD-Politikerin regte kostenlose Schul-Mittagessen und eine kostenlose Erstausstattung für Schulanfänger an.

Änderungsbedarf bestehe ferner bei älteren Arbeitslosen, die in das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) rutschten. Das Schonvermögen, das auch im Falle der ARbeitlosigkeit behalten werden darf, müsse größer werden. Beim am Freitag beginnenden Bundesparteitag in Hamburg stünden diese Forderungen aber noch nicht zur Abstimmung an, sagte Ypsilanti.

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