SPD-Streit:Naumann hätte Verständnis für Münteferings Rücktritt

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Der Konflikt um das Arbeitslosengeld spitzt sich zu: Jetzt hat sich Hamburgs SPD-Spitzenkandidat Naumann in die Debatte eingeschaltet. Seine Einlassungen dürften den Streit weiter anheizen.

Hamburgs SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann hätte im Streit über das Arbeitslosengeld I (ALG I) Verständnis für einen Rücktritt von Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD).

Hamburgs SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann (Foto: Foto: AP)

Er gehe davon aus, dass der Vizekanzler merke, es gehe nicht um die Macht, sondern um Argumente, sagte Naumann am Dienstag dem NDR. Irgendwann werde er feststellen, dass vielleicht sein Argument falsch sei: "Und wenn er dann trotzdem daraus persönliche Konsequenzen zieht, dann ist das auch durchaus verständlich und kein Skandal."

Müntefering will anders als SPD-Chef Kurt Beck die Bezugsdauer für das ALG I nicht verlängern. Einen Rücktritt hat er bereits ausgeschlossen.

Die Unions-Fraktionsspitze kritisierte den Vorstoß von SPD-Chef Kurt Beck in ungewöhnlicher Härte. Der parlamentarische Geschäftsführer Norbert Röttgen (CDU) warf Beck am Dienstag vor, damit die "Geschäftsgrundlage der Koalition" zu verändern.

"Vorstoß zur Kanzlerkandidatur"

Röttgens Worte gehören zu den schwersten Vorwürfen, die aus der Union im Laufe der über zweijährigen Tätigkeit der großen Koalition an die SPD-Spitze gerichtet wurden.

"Das ist der Vorstoß zur Rettung seiner eigenen Position - und seiner Kanzlerkandidatur", sagte Röttgen mit Blick auf Beck. Was Beck jetzt wolle, ist "schlicht in der Qualität etwas anderes", als die Koalition bisher verfolgt habe.

Die SPD gehe zu einer Politik über, die im Regierungsbündnis "einseitig ihre Interessen" vertrete. Die große Koalition ändere ihren Charakter, wenn einer der beiden Partner die "bisherige Politik korrigiert und diskreditiert".

Warnung vor der Demontage

Auch der CSU-Landesgruppenvorsitzende Peter Ramsauer warnte die SPD vor einem Schaden für die große Koalition. "Wenn der Laden bei der SPD auseinanderfliegt, ist uns nicht gedient und ist auch der SPD in keiner Weise gedient", sagte Ramsauer am Dienstag in Berlin. "Ich hoffe, dass die SPD da zur Vernunft kommt."

Er warnte vor einer Demontage von Vizekanzler Franz Müntefering (SPD), der ein "Sicherheitsanker innerhalb der Koalition" und ein "ganz zentrales Herzstück" sei. "Wenn die SPD ihn ernsthaft los haben will, gibt es wirklich feinere Methoden."

Auf die Frage, wie es in der Koalition nun weitergehe, sagte Röttgen unter Bezug auf die Diskussion im Unionsfraktionsvorstand, dass zunächst der SPD-Parteitag Ende Oktober abgewartet werden müsse.

Mögliche Spielräume

Er schloss jedoch Verhandlungen nicht aus und stellte die Koalition auch nicht grundsätzlich in Frage. Die Union beharre aber auf ihrer Forderung nach einer weiteren Senkung der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung auf 3,5 Prozent.

Die CSU ist nach Angaben von Ramsauer grundsätzlich offen für Änderungen am Arbeitslosengeld I. "Wir sind durchaus offen für Gespräche, wenn die Aufkommensneutralität gewahrt ist", sagte er.

Möglicherweise gebe es Spielräume bei Mitteln, die neuen Arbeitslosengeld-II-Beziehern nach Ende des Arbeitslosengelds I zur Abfederung gezahlt werden. Ramsauer bezifferte diese Kosten auf rund 500 Millionen Euro. Vielleicht könne dabei gekürzt werden.

Die Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum längeren Arbeitslosengeld-I-Bezug ist nach Ansicht von Ramsauer klar. Die CDU- Chefin habe im Januar im Koalitionsausschuss den CDU-Beschluss zur aufkommensneutralen Verlängerung vorgestellt.

"Und starrsinnig ist er auch nicht"

Zuvor hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Streit über Korrekturen an der Reformpolitik Müntefering den Rücken gestärkt. Müntefering "ist der erfolgreichste Arbeitsminister seit Jahrzehnten", sagte Steinmeier der Bild-Zeitung. Er sei "nicht isoliert in der SPD, und starrsinnig ist er auch nicht".

Gleichzeitig deutete Steinmeier in dem Interview aber auch seine Zustimmung zu den Plänen von SPD-Chef Kurt Beck an, das Arbeitslosengeld I für Ältere länger als bislang zu zahlen: "In den richtigen Zusammenhang gesetzt, kann ich da mitgehen." So müsse die Partei bestimmte Prinzipien bekräftigen. Als Beispiel nannte Steinmeier den Grundsatz, dass die SPD auch "in Zukunft in erster Linie Arbeit statt Arbeitslosigkeit" finanzieren wolle.

Zugleich warnte er die SPD aber vor einem "Aufbruch zu alten Ufern". Müntefering sei "mit jeder Faser seines Herzens die personifizierte Schutzmacht der kleinen Leute, der Arbeitslosen und Benachteiligten", sagte Steinmeier. "Freiheit, Sicherheit und Würde für die Menschen im arbeitsfähigen Alter" würden aber vor allem durch "Arbeit zu einem guten Lohn" gesichert - "und erst in zweiter Linie dadurch, wie viel und wie lange die Sozialkasse zahlt".

Rückendeckung erhielt Müntefering auch aus der Wirtschaft. Der Vizekanzler habe "völlig Recht, wenn er an der Agenda 2010 festhält", sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Ludwig Georg Braun, der Frankfurter Rundschau. Mit Blick auf zuletzt sinkende Arbeitslosenzahlen mahnte Braun, die Politik solle jüngste "positive Entwicklungen befördern und nicht populistisch aufs Spiel setzen".

Beck will hart bleiben

SPD-Chef Beck hatte am Montag deutlich gemacht, dass er im Machtkampf mit Müntefering um Korrekturen an der Reform-Agenda 2010 hart bleiben will. Er möchte den SPD-Parteitag Ende Oktober über den Konflikt entscheiden lassen. Immer mehr führende Sozialdemokraten, darunter ausgewiesene Befürworter der rot-grünen Reformen, stellten sich zuletzt hinter Becks Forderung nach einer längeren Zahlung von Arbeitslosengeld I (ALG I) für Ältere.

SPD-Präsidiumsmitglied Ludwig Stiegler setzt auf Kompromisse. Er schlug vor, Änderungen nur vorübergehend zu beschließen und anschließend ihre Wirkung zu prüfen. "Im Jahr 2010 muss nach der Revisionsklausel geschaut werden, ob die Arbeitsmarktlage so ist, dass die Rente mit 67 eingeführt werden kann. Dann bietet es sich auch an, auf das Arbeitslosengeld I zu schauen", sagte Stiegler der Passauer Neuen Presse. Es müsse bei einer Verlängerung nur darum gehen, Abfederungen zu treffen, "so lange das Arbeitsmarktrisiko der Älteren besonders hoch ist".

Für den SPD-Parteitag erwartet Stiegler "keinen Showdown". In der Mittelbayerischen Zeitung unterstrich er die Richtigkeit von Becks Vorschlag. Damit würde keine Abwendung von der Agenda 2010 eingeleitet, sondern offenkundige Härten abgebaut und damit die Akzeptanz der Reformen erhöht. Ähnlich äußerte sich Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) in den ARD-"Tagesthemen": Es gehe nicht um eine Abkehr von der Agenda und auch nicht um einen Machtkampf in der SPD; Beck werde sich mit seiner Linie durchsetzen, weil er gute Argumente habe.

"Die SPD steht in einer Situation, die ich ihr nicht wünschen kann."

Sachsens CDU-Ministerpräsident Georg Milbradt bekräftigte seine Ablehnung des Beck-Vorstoßes für ein längeres Arbeitslosengeld I. Er sagte der Leipziger Volkszeitung: "Im SPD-internen Machtkampf gehört meine Unterstützung dem Vizekanzler Franz Müntefering. Mit ihm kann man eine vernünftige, sachbezogene Politik machen." Beck betreibe hingegen eine rückwärtsgewandte Politik.

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel sagte im Sender Phoenix zum Streit in der SPD: "Ich gehe davon aus, dass dieser Populismus-Wettlauf an den Notwendigkeiten der Bedürfnisse, an den Menschen, vorbeiläuft." Der frühere grüne Außenminister Joschka Fischer sagte am Montagabend in der ARD-Talksendung "Beckmann" zur Lage beim früheren Koalitionspartner: "Kurt Beck wird sich jetzt durchsetzen müssen, oder aber die SPD steht in einer Situation, die ich ihr nicht wünschen kann."

Müntefering erhält nach einem Zeitungsbericht Rückendeckung von der Bundesagentur für Arbeit (BA): Wie der Mannheimer Morgen berichtet, wird in einer BA-Studie über die Situation Älterer am Arbeitsmarkt der verkürzte Bezug des Arbeitslosengeldes ausdrücklich gelobt. Trotz des steigenden Bevölkerungsanteils der über 55-Jährigen sei die Erwerbslosigkeit bei diesen überproportional um 4,7 Prozent gesunken.

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