SPD-Parteitag:Becks Rundumschlag

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Nach einem versöhnlichen Grußwort von Altkanzler Schröder hält Parteichef Beck seine lang erwartete Rede - und greift in einer langen Rede viele Themen auf. Während der SPD-Chef dem Koalitionspartner Wankelmütigkeit und neoliberale Thesen vorwarf, verteidigte er den parteiinternen Streit mit Müntefering.

Es war eine lang erwartete Rede - und SPD-Chef Beck hat sich viel Zeit dafür genommen. Der Parteivorsitzende berührte in seiner mehr als einstündigen Rede fast alle politischen Themen. Auch an Kritik am Koalitionspartner sparte er nicht.

Den parteiinternen Streit mit Vizekanzler Franz Müntefering wertete er als positiv. Die Sozialdemokraten setzten sich "mit offenem Visier in der Sache" auseinander und trügen am Ende dann gemeinsam die Entscheidung, sagte Beck mit vollem Ernst auf dem SPD-Parteitag in Hamburg.

Ohne die Agenda 2010 direkt zu erwähnen, sagte er: "Es ist viel erreicht worden", und zwar auf der Basis der Politik des damaligen SPD-Kanzlers Gerhard Schröder. Beck nannte das Hamburger Delegiertentreffen, auf dem ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet werden soll, einen "historischen Parteitag".

Dem Koalitionspartner warf Beck dagegen Unzuverlässigkeit vor. "Ich sehe ein großes Maß an Wankelmütigkeit, an Unstetigkeit."

"Willkommen, Frau Merkel"

Vor zwei Jahren habe die CDU Positionen vertreten, die mit der heutigen Sozialrhetorik nicht vereinbar seien, kritisierte er. Offenbar gebe sich die Union nur sozial, während sie in Wahrheit weiter neoliberale Ziele verfolge.

"Erinnern wir die Menschen an den Wahlkampf 2005: Er ist mit Marktradikalismus geführt worden", sagte er. "Das ist weiter Herzstück der Unionspolitik." Wenn die Union nun hin zu sozialdemokratischer Diktion schwenke, habe das was damit zu tun, dass die sozialdemokratische Politik richtig sei. "Willkommen Frau Merkel, wenn Sie sagen, alle Menschen sollen teilhaben an dem, was erarbeitet worden ist. Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Aber ich darf daran erinnern, da gibt es auch ein paar Urheberrechte."

Auch an CDU-Innenminister Wolfgang Schäuble übte Beck Kritik. Dessen wiederholte Warnungen vor Terroranschlägen seien nicht hilfreich. Auch wenn man dauernd Alarm schlage, steige nicht automatisch die Sicherheit. Beck bekräftigte die Bereitschaft der Sozialdemokraten, die Innere Sicherheit zu garantieren. "Aber wir müssen auch die Grenzen erkennen", mahnte er. Den Rahmen setze die Verfassung, denn zu viel Sicherheitsmaßnahmen könnten die Freiheit der Bürger in Frage stellen. Als unverantwortlich und rechtswidrig kritisierte Beck auch die Ankündigung von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), notfalls ein entführtes Passagierflugzeug abschießen zu lassen.

Beck sagte, die SPD sei bereit, zusammen mit dem Koalitionspartner CDU/CSU dem Bundeskriminalamt mehr Befugnisse zu übertragen - jedoch zunächst ohne die umstrittenen Online-Durchsuchungen. Hier wolle die SPD zunächst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwarten. Wer deshalb der SPD Schuldzuweisungen an möglichen Anschlägen gebe, treibe ein "politisches Spiel, das man nur noch schäbig nennen kann", fügte Beck hinzu.

Auch das schwierige Thema Agenda 2010 schnitt der SPD-Chef an - und warb für Nachjustierungen. "Vorsichtig und ohne rückwärts zu gehen, müssen wir die Bereitschaft haben, da nachzutarieren." Das betreffe die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I, die Anpassung der Hartz-IV-Sätze an Preissteigerungen und die Intensivierung der Vermittlungsarbeit. Das System des Förderns und Forderns müsse in Balance gehalten werden.

Gleichzeitig sprach sich Beck erneut für Mindestlöhne aus. Der Kampf für gute Arbeit werde das Handeln der SPD bestimmen, sagte Beck. Dazu gehöre auch eine Beibehaltung des Kündigungsschutzes. Mindestlohn sei mehr als ein sozial- oder arbeitsmarktpolitischer Ansatz, "es ist eine Grundweichenstellung", betonte Beck. Die SPD kämpfe dafür, dass jeder von einer vollschichtigen Arbeit auchleben könne. "Ich will Franz Müntefering ausdrücklich Danke sagen für die Konsequenz und Klugheit, mit der er diese Frage angegangen und das Thema vorangetrieben hat", sagte Beck.

Beck will die Freiwilligenarmee

Künftig will der SPD-Chef zwei Drittel der zusätzlichen Steuereinnahmen zur Haushaltssanierung und ein Drittel für Zukunftsaufgaben verwenden. Diese Regelung solle als Maßstab der Haushaltspolitik bei einer weiterhin positiven Konjunkturentwicklung gelten. Beck betonte, man dürfe zwar nicht jeder Forderung nachgeben, doch müsse der Staat handlungsfähig bleiben. Er rief die Delegierten auf, Finanzminister Peer Steinbrück in seinem Sanierungskurs zu unterstützen.

Außerdem warb der SPD-Parteichef um Zustimmung für eine Neuregelung der Wehrpflicht hin zu einer Freiwilligenarmee. Die Verwerfungen zwischen der Zahl der Wehr- oder Zivildienstleistenden und jenen, die nicht einberufen würden, seien auf Dauer nicht hinnehmbar, sagte er. Die Politik müsse handeln, bevor wieder das Verfassungsgericht der Politik sage, was sie tun solle. Die SPD-Spitze habe in einer schwierigen Debatte einen Weg gefunden, die Wehrpflicht zu behalten und über einen freiwilligen Wehrdienst junge Menschen für die Bundeswehr zu gewinnen. Mit materiellen Anreizen und Vorteilen bei der Weiterbildung würden Wehr- und Zivildienst attraktiver gemacht. "Ich bitte euch, diesem Vorschlag zu folgen", rief Beck die Delegierten auf.

Gastgeber Naumann

Mit Verspätung war der Chef im Hamburger Kongresscentrum angekommen. Im Schlepptau hatte er die übrigen Parteigranden, unter anderem Vizekanzler Müntefering und die Bundesminister Steinmeier und Steinbrück.

Der Spitzenkandidat für die Hamburger Bürgerschaftswahl im kommenden Jahr hatte den Konvent eröffnet: Michael Naumann, beurlaubter Herausgeber der Zeit. Naumann begrüßte seine Parteikollegen in der "schönsten Stadt der Republik". Erster minutenlanger Applaus brandete auf, als er den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt persönlich begrüßt.

Doch auch für den vielgescholtenen Ex-Kanzler Schröder, den Naumann ebenfalls "herzlich" begrüßte, gab es Applaus. Schröder nahm Platz in der ersten Reihe neben Schmidt und genoss sichtlich den Beifall.

"Es ist schön, diesen Applaus jetzt zu hören", sagte Naumann. "Aber geben wir es zu, wir haben es ihm nicht immer leicht gemacht. Heute wissen wir, jetzt, da die Reformen greifen, was wir an ihm haben."

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Mit optimistischen Worten wagte Naumann auch einen Blick nach vorne. "Mit dem Hamburger Programm nimmt die Partei die Herausforderungen einer globalisierten Arbeitswelt an. Wir sind stolz darauf, dass das neue Programm den Namen unserer Stadt tragen wird."

Nach dem früheren Kulturstaatsminister sprach dessen alter Chef: Altkanzler Gerhard Schröder.

In seinen ersten Worten griff Schröder den Gedanken Naumanns auf: "Michael Naumann hat Recht, wenn er sagt, ihr habt es mir nicht leicht gemacht. Aber ich euch auch nicht."

Der Parteitag habe eine doppelte Bedeutung. Einerseits sei er ein Programmparteitag, andererseits bewerte er die sozialdemokratische Arbeit in der Regierung. Zwischen Programm und Regierungsarbeit gebe es keinen Widerspruch.

"Immer wenn wir die politische Agenda bestimmt haben, ist das Land vorangekommen." Die Union schmücke sich mit den Regierungserfolgen der SPD. Die SPD müsse betonen, dass die Fortschritte in der Klima-, Ausländer- und Familienpolitik ihre Verdienste seien. Auch für das Mehr an Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit in der Außenpolitik sei die Regierungsarbeit der SPD verantwortlich. "Wenn wir der Meinung waren, dass eine militärische Intervention nicht angemessen war", sagte Schröder mit Blick auf den Irakkrieg, "haben wir den Mut entwickelt, auch zum größten Bündnispartner nein zu sagen".

"Das Bessere ist des Guten Freund"

Auch das Reizthema Agenda 2010 ließ Schröder in seiner Rede nicht außen vor und versprach gleich zu Anfang, kein alttestamentarisches Bild zu benutzen. Die Agenda sei ein Instrument, um allen Menschen ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu ermöglichen, nicht das Ziel. "Also ist sie veränderbar."

Das Bessere sei des Guten Freund, sagte Schröder mit Blick auf die Reformbestrebungen seiner Partei. "Aber eben das Bessere, nicht das Populärere. Ich kann nur raten, mit Augenmaß vorzugehen." Die Grundprinzipien sollten gewahrt bleiben.

Von der Partei forderte Schröder, dem Parteichef Beck ein hohes Maß an Loyalität entgegenzubringen. Er wisse, wie schwer seine Arbeit sei. Aber zugleich solle die Partei auch die Arbeit der Regierungsmitglieder unterstützen.

Abstimmung über NPD-Verbotsverfahren geplant

Es ist ein Parteitag der Superlative: 7000 Teilnehmer treffen sich im Kongresscenter am Bahnhof Dammtor. Allein 1900 Journalisten sind akkreditiert. Die etwa 500 Delegierten wollen am ersten Tag die gesamte Führung neu wählen und über einen längeren Bezug des Arbeitslosengeldes I für Ältere entscheiden.

Unter anderem steht die Vorstandswahl an. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck kann mit einer klaren Bestätigung im Amt rechnen. Für die drei Stellvertreterposten treten Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Finanzminister Peer Steinbrück und die Parteilinke Andrea Nahles an.

Mit der Abstimmung über die verlängerte Zahlung von Arbeitslosengeld dürfte der wochenlange Streit zwischen Beck und Vizekanzler Franz Müntefering vorerst entschieden sein. Erwartet wird, dass sich eine klare Mehrheit hinter Becks Position stellt. Weiter wollen die Delegierten über die Einleitung eines neuen Verbotsverfahrens gegen die rechtsextreme NPD abstimmen.

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