SPD-Grundsatzprogramm:Plädoyer für mehr Eigenverantwortung

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Die Sozialdemokraten beraten am Wochenende über den Entwurf eines neuen Grundsatzprogramms, der für ihre Verhältnisse überraschend kurz geraten ist.

Nico Fried

Die größte Überraschung am Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm der SPD besteht in seiner Kürze.

Für das Bild vom Menschen reicht sogar eine halbe. Die Schnörkellosigkeit ist auf den Hauptautor zurückzuführen: Generalsekretär Hubertus Heil schätzt den prägnanten Satz, was den Text gut lesbar macht, an mancher Stelle aber noch oberflächlich wirken lässt.

Der Grundton des Entwurfs lautet: Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Als wohl wichtigster Anspruch wird der Primat der Politik vor wirtschaftlichen Zwängen formuliert. Deshalb plädiert der Entwurf dafür, sich nicht in Angst zurückzuziehen, sondern den Versuch zu unternehmen, Staat, Gesellschaft und Wirtschaft auch im Zeitalter der Globalisierung zu gestalten.

Frieden schaffen mit möglichst wenig Waffen

Ohne Rangfolge sollen die Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sozialdemokratische Leitplanken sein. Bei deren Definition hat die SPD freilich beim Thema Gerechtigkeit den weitesten Weg zurückgelegt: Dem Klassiker der Verteilung von oben nach unten fügt sie nun auch jene Form von Gerechtigkeit hinzu, die gleiche Chancen im Leben gewährleisten soll, aber auch eigene Initiative erfordert: ,,Jeder Mensch trägt Verantwortung für sein Leben.''

Im Hauptteil unterscheidet der Text neun Politikfelder, für die Ziele in einer Vielzahl formuliert werden, hinter der die Beschreibung der konkreten Wege ein wenig zurückbleibt. Vermutlich unbeabsichtigt, aber dramaturgisch geschickt, gewinnt der Entwurf zum Ende hin an Substanz. Das erste Kapitel zur Außenpolitik leidet am meisten an eher ermüdenden Allgemeinplätzen, die sich so resümieren lassen: Die SPD will eine bessere Welt und Frieden schaffen mit möglichst wenig Waffen.

Bemerkenswert am zweiten Kapitel, Europa gewidmet, ist das nahezu uneingeschränkte Bekenntnis zur EU inklusive der Erweiterungspolitik, verbunden mit der Forderung nach gerechter Gestaltung mit sozialen Mindeststandards, mehr Demokratie und Transparenz.

Wirtschaftswachstum mit Chancen

Kapitel drei, in dem es um bürgerschaftliches Engagement und Problemlösungen jenseits des Staates geht, ist Parteichef Kurt Beck wie auf den Leib geschrieben.

Und dann wird's richtig interessant: In der Wirtschaftspolitik legt die SPD jede Fortschrittsskepsis ab. Definiert werden nicht mehr die Grenzen des Wachstums, wie noch im Berliner Programm vom Ende der 80er Jahre, sondern die sozialen wie ökologischen Chancen, die sich daraus ergeben. ,,Qualitatives Wachstum'' soll mehr Probleme lösen als es verursacht. ,,Wir erzeugen neue Wertschöpfung, wenn wir in zentralen Leitmärkten die Bewältigung gesellschaftlicher Zukunftsaufgaben und die Stärkung unserer Industrie zusammenhängend begleiten'', heißt es. Und: ,,Ökologische Nachhaltigkeit ist kein Wachstumshemmnis, sondern Wachstumsmotor.''

Nahezu kostenlosen Paradies der Kinderbetreuung

Ein weiterer Kern des Papiers ist der vorsorgende Sozialstaat. Er soll Prävention und Förderung zum Beispiel im Gesundheitswesen oder im Arbeitsleben an die Stelle des alten Systems nachsorgender Transferleistungen stellen. Dazu gehört aber auch, die Menschen stärker zu aktivieren und sie damit zu befähigen, ,,ihr Leben selbstbestimmt zu meistern''. In logischer Konsequenz widmet sich das Papier intensiv allen Fragen der Bildung - von frühkindlicher Erziehung bis zur Weiterbildung von Erwachsenen.

Hier macht der Entwurf auch die meisten Versprechungen: Kinder und Eltern sollen in einem nahezu kostenlosen Paradies der Betreuung leben, Lehrer und andere Angestellte in sozialen Berufen mehr Anerkennung erhalten, womit wohl nicht nur nette Worte gemeint sind. Das Geld dafür will die SPD durch eine stärkere Steuerfinanzierung zugunsten einer Entlastung des Faktors Arbeit erwirtschaften. Auch private Vermögen sollen einen größeren Beitrag leisten. Im Vergleich zu früher muss man diesen Passus jedoch fast mit der Lupe suchen.

© SZ vom 2.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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