SPD:Der Franz wird's schon richten

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Müntefering ist seit 100 Tagen Chef der deutschen Sozialdemokraten - das Vertrauen seiner Partei zu ihm scheint ungebrochen.

Von Nico Fried

Schnell, schnell. Franz Müntefering hat es immer eilig. Er läuft mit großen Schritten, ein wenig nach vorne gebeugt, zu Rednerpulten oder auf Diskussionspodien.

So viel Vertrauen bekam kein SPD-Parteichef seit Willy Brandt: Franz Müntefering vor der Statue des ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlers (Foto: Foto: dpa)

Dann begrüßt er sehr zügig ein paar Leute, Veranstalter, Vorstandsmitglieder von Landesverbänden oder Veteranen der Partei, und weil er so schnell ist, kann er immer auch ein paar mehr begrüßen als eigentlich notwendig. Das kommt gut an.

Keine Zeit verschwenden. So spricht er ja auch. Kurze Sätze, griffige Bilder, hie und da ein trockener Scherz. Dabei wirkt Müntefering keineswegs hektisch. Man bekommt eher den Eindruck, er würde gerne noch mehr machen, noch eine Versammlung, noch ein paar Hände schütteln, noch eine Diskussion. Wenn man der Meinung ist, der Regierungspartei SPD laufe die Zeit davon, dann kann einen die Beobachtung von Franz Müntefering darin nur bestärken.

Hang zu Autoritäten

Am Dienstag hastet er seit 100 Tagen als Vorsitzender durch die SPD. Mehrere tausend Kilometer dürfte er seit seiner Wahl am 21.März in Deutschland zurückgelegt haben, um seine frustrierte, verärgerte Partei wieder aufzurichten. Ein einzelner Feuerwehrmann, der im Ernst versucht, einen Flächenbrand zu löschen. "Ich wusste, dass es schwer wird", sagt Müntefering.

Zwei Zahlen sind wichtig in einer ersten Bilanz. Die eine betrifft die Mitglieder der SPD. Im Mai, so sagt es jedenfalls Müntefering, sei die Zahl jener, die in die Partei eingetreten sind, erstmals seit langer Zeit wieder höher gewesen als die Zahl derer, die sie verlassen haben.

Das ist kein schlechtes Ergebnis, wenn man bedenkt, in welchen Massen vor allem langjährige Sozialdemokraten zuvor ihre Parteibücher zurückschickten. Das ist die Haben-Seite.

Der andere Teil der Bilanz ist das Wahlergebnis vom 13.Juni. Selbst von den wenigen Bürgern, die überhaupt zur Europa-Wahl gingen, stimmten nur 21,5 Prozent für die SPD. Das ist das Soll. Und es wiegt schwer.

Willig das Schicksal in die Hände des Nachfolgers gelegt

In der Partei immerhin scheint es also einen - wenn auch kleinen - Münte-Effekt zu geben. Die Diskussionen nach dem Wahldesaster verliefen wesentlich friedlicher als früher - wobei man freilich nicht sicher sein kann, ob sich die SPD wirklich diszipliniert hat oder ob sie einfach in die endgültige Depression gefallen ist, in eine Art Angststarre.

Fest steht, dass Müntefering der Partei sowohl durch seine Präsenz an der Basis als auch durch eine verbesserte organisatorische Einbindung das Gefühl gibt, sie spiele wieder eine Rolle und sei nicht nur Mittel zum Zweck.

Paradoxerweise gibt es aber in der SPD unter Müntefering auch eine Bewegung in die entgegengesetzte Richtung: Der neue Chef genießt so viel Vertrauen wie keiner seiner Vorgänger seit Willy Brandt. Dieselbe Partei, die sich unter Schröder ständig übergangen fühlte, legt nun ihr Schicksal willig in die Hände des Nachfolgers.

Der Franz wird's schon richten, lautet der Satz, der den gewaltigen Vorschuss Münteferings an der Basis beschreibt. Die Ära Schröder hat nur verdeckt, dass es in der SPD noch immer einen Hang zu Autoritäten gibt - solange man sie nur lieb haben kann.

Tatsächlich gewährt die Partei dem neuen Boss einen Kredit, dessen Großzügigkeit teilweise fast irrational erscheint. Denn Müntefering ist ja nicht nur der fleißige Vorsitzende mit dem richtigen Stallgeruch. Er ist auch der eiserne Franz, der seine Partei nicht schont.

Die innerparteilichen Nachhutgefechte sind vorbei

Zu Beginn seiner Amtszeit gerierte sich Müntefering zeitweise härter als der ob seines Abschieds von der SPD-Spitze sentimental gestimmte Gerhard Schröder: Keine Kehrtwende in der Reformpolitik, keine Trostpflaster über Einschnitte, bloß keine falschen Hoffnungen. Müntefering vertrat dieselbe Politik wie der Kanzler, nur mit noch mehr Vehemenz - und trotzdem wurde er bejubelt.

Inzwischen sind zumindest die innerparteilichen Nachhutgefechte um die schmerzhaften Reformen weitgehend ausgetragen. Das kann als Verdienst Münteferings bewertet werden, obgleich es ein Verdienst nicht ohne Verluste ist.

Denn neben denen, die Einsicht gezeigt oder sich zumindest in das Unausweichliche gefügt haben, gibt es auch jene, die für die Partei verloren sind, sehr wahrscheinlich für immer.

Und das für die Zukunft der SPD mitentscheidende Tauziehen mit den Gewerkschaften hält an. Müntefering hat sich auf die organisierten Arbeitnehmer zubewegt, indem er den Dialog verstärkte. Ein inhaltliches Nachgeben hingegen ist noch nicht zu erkennen.

Genug des Säbelrasselns

Wie sehr sich Münteferings Entgegenkommen in Grenzen hält und wie groß andererseits die Freiheiten sind, die ihm die Partei gewährt, war beispielhaft bei der Ausbildungsplatzabgabe zu erleben. Wohl hat er sie mit Verve vorangetrieben.

Doch während die Basis darin vor allem ein probates Mittel sah, endlich auch einmal der Wirtschaft eins auszuwischen, war das Gesetz für Müntefering in erster Linie ein Druckmittel. Die Partei hat seine alleinige Entscheidung hingenommen, dass es nun des Säbelrasselns genug sei.

Der wacklige Ausbildungspakt, der dann verabschiedet wurde, wäre Gerhard Schröder wohl als Einknicken vor dem Kapital ausgelegt worden - Müntefering erntete dafür, abgesehen von vereinzeltem Murren, die Zustimmung der SPD.

Müntefering nutzt seine starke Position. Er gibt innenpolitisch Ton und Tempo vor, während der Kanzler sich ums Internationale kümmert und nur zu wichtigen Anlässen in Deutschland zwischenstoppt. Eine Konkurrenz zwischen sich und Schröder muss Müntefering nicht befeuern - sie ist der Konstellation immanent.

Versöhnung mit der eigenen Regierung

Natürlich will auch Müntefering die SPD mit ihrer eigenen Regierung versöhnen. Doch er tut das nicht ohne die notwendige Distanz, die für das Überleben der SPD wichtig sein kann, sollte es die Regierung früher oder später nicht mehr geben.

Einerseits sagt Müntefering immer wieder, Partei und Regierung würden vom Bürger nur als ein Ganzes wahrgenommen. Andererseits weiß er auch, dass die Mängel derzeit fast ausschließlich im Kabinett verortet werden.

So entsteht der Eindruck, in der Arbeitsteilung Schröders mit Müntefering habe Letzterer seine Aufgabe unter Kontrolle. Der Kanzler aber müsse noch liefern. In der Konsequenz bedeutet dies, dass mit dem Machtverlust auch Schröder am Ende wäre. Nicht aber Müntefering.

© SZ vom 26.06.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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