SPD debattiert über neue Ausrichtung:Wunsch und Wirklichkeit

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Sie träumen von mehr Gerechtigkeit und sozialer Wärme. Sie wollen die Reichen zur Kasse bitten, die Konzerne mit höheren Steuern belasten und die Praxisgebühr wieder streichen: Die Sozialdemokraten streiten über den richtigen Reformkurs - viel verändern können sie aber nicht.

Von Ulrich Schäfer und Robert Jacobi

Sie träumen von mehr Gerechtigkeit und sozialer Wärme. Sie wollen die Reichen zur Kasse bitten, die Konzerne mit höheren Steuern belasten und die Praxisgebühr wieder streichen. Der Staat soll wieder das tun, wozu er aus traditionell sozialdemokratischer Sicht da ist: umverteilen von oben nach unten. Es ist also eigentlich ganz leicht für Franz Müntefering, den designierten Vorsitzenden. Er rückt die alte Tante SPD nach links, schon ist die Basis ruhig.

Drehen die Genossen also das, was sie bereits beschlossen haben, wieder zurück? Treten die Genossen wirklich auf die Reformbremse? Wer die Ideen für einen Politikwechsel, die nun von den Linken ebenso wie von Landesministern ins Spiel gebracht werden, genauer untersucht, merkt schnell: Anspruch und Wirklichkeit, Wünschbares und Machbares liegen bei den Sozialdemokraten weit auseinander.

Lieblingsthemen neu entdeckt

Auf die Schnelle können sie wenig ändern, hier mag es ein paar Korrekturen geben, dort ein paar Nachbesserungen. Dass die Sozialdemokraten aber in dieser Legislaturperiode einen anderen, neuen Politikentwurf umsetzten, ist angesichts der Machtverhältnisse im Bundesrat schiere Utopie. Und diese Machtverhältnisse werden sich bis zur Wahl 2006 eher noch verschlechtern.

So wird die Bürgerversicherung, eines der Lieblingsprojekte des letzten SPD-Parteitags von Bochum, allenfalls als Thema im Bundestagswahlkampf dienen können, als Chiffre für einen Systemwechsel, den es so wahrscheinlich nie geben wird. Die Genossen wollen alle Bürger, also auch die privat Versicherten, in die gesetzliche Krankenkasse zwingen. Das aber würde die CDU, die das Gegenmodell der einheitlichen Gesundheitsprämie propagiert, niemals mitmachen.

Keine Chance hat auch die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Zwar hatte selbst Wolfgang Clement, noch als Regierungschef von Nordrhein-Westfalen, 2002 dafür geworben, auf diese Weise Geld für die Bildung zu gewinnen, sich als Minister aber davon distanziert. Schröder stoppte die Debatte mitten im Landtagswahlkampf von Sigmar Gabriel. Seither ist es still darum geworden, denn in den Ländern, denen diese Steuer zusteht, weiß man: Hierfür wird es im Bundesrat nie eine Mehrheit geben.

Auf der Suche nach neuen Geldquellen

Ein wenig anders liegt der Fall bei der Reform der Erbschaftsteuer. Nicht wenige in der SPD hoffen, auf diese Weise bei den Reichen ein paar Milliarden einzusammeln, um diese in Forschung und Hochschulen zu stecken.

Auch die Union will die Steuer auf Nachlässe ändern. Aber sie will ebenso wie die Wirtschaftspolitiker der SPD die Erben von Betrieben davon befreien, wenn sie das Unternehmen fortführen. Mehr Geld bringt das nicht, eher weniger. Eine Reform macht ohnehin erst Sinn, wenn das Bundesverfassungsgericht sein Grundsatzurteil dazu gefällt hat, und die Karlsruher Richter haben mitgeteilt, dass dies frühestens 2006 der Fall sein wird.

Um Schulen und Universitäten dennoch fördern zu können, haben viele Genossen eine dritte Geldquelle entdeckt: die Goldreserven der Bundesbank. Auch hier lassen sich nicht hopplahopp die Milliarden mobilisieren: Die Bundesbank darf derzeit nichts verkaufen. Selbst wenn die Notenbanken im Herbst ihr Goldabkommen ändern, wird dies nur scheibchenweise geschehen - und der Erlös bei der Bank verbleiben. Alles andere erfordert eine Gesetzesänderung, die der Bundesrat jedoch blockieren kann.

Sägen am Eckpfeiler der Gesundheitsreform

Am ehesten - und auch am zügigsten - könnte die Müntefering-SPD noch die Ausbildungsplatzabgabe auf den Weg bringen. Im Herbst hatten Fraktion und Parteitag beschlossen, dass alle Betriebe, die zu wenig oder gar nicht ausbilden, eine Strafgebühr zahlen sollen, die an vorbildliche Konkurrenten weitergeleitet wird.

Im März, so hat es der künftige Parteichef angekündigt, wird die Fraktion ihr Gesetz einbringen. Es wird so formuliert sein, dass der Bundesrat nicht zustimmen muss - eine Herausforderung für die Juristen im Bildungsministerium.

Bleibt also die Sozialpolitik. Auch dort ist der Spielraum eng. So sinnt Sozialministerin Ulla Schmidt zwar darüber nach, wie sie bei den Betriebsrenten nachbessern kann. Seit diesem Jahr müsse alle, die vom früheren Arbeitgeber eine Pension bekommen, darauf statt des halben den vollen Krankenversicherungsbeitrag zahlen, was wie bei der Praxisgebühr oder den Zuzahlungen für Medikamente nicht zuletzt die SPD-Klientel trifft. Quer durch die Partei wird deshalb gefordert, dies zu revidieren. Das Problem ist nur: Sollte Schmidt dies tun, würden ihr die Eckpfeiler ihrer Gesundheitsreform wegbrechen und den Kassen knapp fünf Milliarden Euro an Einnahmen; sie müssten die Beiträge deshalb um 0,5 Prozentpunkte erhöhen.

Allenfalls bei der Rentenreform, die derzeit im Bundestag verhandelt wird, könnte Schmidt ein paar Korrekturen vornehmen: Sie könnte etwa den komplizierten Nachhaltigkeitsfaktor, der über das künftige Rentenniveau entscheidet, so verändern, dass die Altersbezüge langsamer sinken, oder eine Klausel ins Gesetz schreiben, die im Jahr 2030 ein bestimmtes Mindestrentenniveau garantiert. Dies wäre, weil es weit in die Zukunft reicht, eher symbolische Politik.

Insofern ist es auch die Macht des Faktischen, wenn Franz Müntefering erklärt, die SPD werde den Reformkurs nicht verlassen: "Dies wird an keiner Stelle und an keinem Stück geschehen."

© SZ vom 10.02.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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