SPD: Austritt von Clement:Allein mit sich und seiner Linie

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Lange schon hadert Wolfgang Clement mit der Führungsschwäche der SPD, jetzt zieht er die Konsequenzen. Der Parteiaustritt zeigt, wie er sich in der kriselnden Sozialdemokratie isoliert hat.

Hans-Jürgen Jakobs

Für einen, der mit Willy Brandt, Helmut Schmidt, Johannes Rau und Peter Glotz politisch großgeworden ist, muss die gegenwärtige deutsche Sozialdemokratie ein einziger Dilettantenstadel sein.

Verlässt die SPD nach 38 Mitgliedsjahren: Wolfgang Clement (Foto: Foto: dpa)

Wolfgang Clement, der schon in dem achtziger Jahren Sprecher des SPD-Bundesvorstands war, hat erkennbar seit Monaten an der Führungsschwäche seiner Partei gelitten. Insofern ist es konsequent, dass er nun, nach 38 Jahren, den Austritt erklärt.

Noch einmal nimmt er einen gigantischen Öffentlichkeitseffekt mit, den der gelernte Journalist sicher eingeplant hat. Noch einmal wird seine Erklärung (die des freiwilligen Parteiaustritts) landauf, landab zitiert und interpretiert. Er sei nunmehr "Sozialdemokrat ohne Parteibuch", schreibt Clement - und sieht sich somit in ähnlicher Lage wie Oskar Lafontaine, ein anderes gewesenes Schwergewicht der SPD.

Anders als der Chef der Linken will Clement aber keiner anderen Partei beitreten, auch wenn die FDP noch sehr buhlt. Der 68-Jährige würde das für charakterlos halten.

Der Konflikt zwischen dem einstigen Bundes-Superminister (für Wirtschaft und Arbeit) und der SPD ist über Monate eskaliert, ohne dass Clement besonders viel zur Beilegung getan hätte.

SPD saftlos, alles wie gehabt

Zunächst war er entsetzt über den lavierenden Kurs des Kurt Beck und sah die Linken auf den Vormarsch, inklusive einer Liaison mit Lafontaine. Das alarmierte den wirtschaftsnahen Politiker, der in den Aufsichtsräten von RWE Power AG, des Verlags DuMont Schauberg und der Dussmann-Gruppe sitzt sowie im Reich der Zeitarbeitsfirma Adecco ein Institut leitet.

Aus Sicht des sozialliberalen Clement musste Parteichef Beck ebenso weg wie die hessische Spitzenfrau Andrea Ypsilanti mit ihren linken Koalitions-Sperenzchen.

Als dann wieder Franz Müntefering die SPD übernahm und im Duett mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Politik neu ausrichten wollte, hatte der prominente Kritiker vermutlich viel Hoffnung. Aber das ist schon wieder etliche Wochen her. Und klare Führungsvorgaben vermisst Clement wie eh und je. SPD saftlos, alles wie gehabt.

Stattdessen schleppte sich also sein Parteiordnungsverfahren wegen despektierlicher Äußerungen zur Hessen-SPD genauso weiter dahin wie die gesamte sozialdemokratische Bundespolitik. Clement begann sich wieder zu reiben, an der Sprachlosigkeit Münteferings und der des Bundesaußenministers, der Länder wie Indien bereisen muss und ansonsten durch weitgehende Standpunktlosigkeit auffällt.

Clement und das lauwarme Bad

Der Mann ging erneut in die innere Emigration. Er vermisste Kerniges zur aktiven Wirtschaftspolitik und zur Abgrenzung gegen links. Es wurde - in der Wahrnehmung Clements - weiter lauwarm gebadet.

Dass es die SPD schließlich bei einer Rüge des einstigen Spitzenpolitikers beließ, war nur der formale Schlussakt einer monatelangen Entfremdung. Natürlich bedauerte der sich "drangsaliert" wähnende Abweichler keinesfalls seine Wortwahl, wie es die öffentliche Diskussion suggerieren konnte. Ein Clement bleibt bei seiner Haltung.

Als Freund von Kompromissen ist der Mann aus Bochum noch nie aufgefallen. Freunde nennen das aufrecht oder prinzipientreu, Gegner dagegen stur und halsstarrig. Sicher ist: Clement fühlt sich immer am wohlsten bei jenen, die recht behalten.

Vom Verändern besessen - Lesen Sie auf der nächsten Seite über den politischen Werdegang Wolfgang Clements, den Stärken, die er hat und denjenigen, die ihm fehlen.

Wenn er von etwas überzeugt ist, dann macht der Macher daran keine Abstriche. Als Staatskanzleichef in Düsseldorf förderte er den Medienstandort mit einer Wucht, dass spätere Untersuchungssauschüsse möglichen Mauscheleien in einem Trickfilmzentrum in Oberhausen nachgingen. Mit dem Bus fuhr er unermüdlich durch die Lande, um Unternehmern Lehrstellen abzuringen. Ein Berserker im Dienst.

Wolfgang Clement im Sommer 2008 (Foto: Foto: ddp)

Als Berliner Superminister wiederum war seine Reformfreude noch stärker ausgeprägt als die des Kanzlers Gerhard Schröder, der die Agenda 2010 mit Hartz IV propagierte. Clement steht immer noch dazu, auch wenn sich der taktisch wendigere Schröder längst davon wegdefiniert hat.

Ein Opportunist aber will Wolfgang Clement nicht sein, auch kein Märtyrer. Er ist in einer veränderten, sich verändernden Welt zum rabatzfreudigen Linientreuen geworden. Einer, der die Koordinaten seines Weltbilds partout nicht verschieben will.

Mehr kühler Technokrat, denn Menschenfischer

Aus heutiger Sicht ist es kaum mehr nachvollziehbar, dass der Parteiabgänger einmal während der rot-grünen Koalition beste Chancen hatte, Bundeskanzler zu werden. Das wusste auch der angeschlagene Gerhard Schröder - und holte den damaligen NRW-Ministerpräsidenten 2002 überraschend ins Kabinett.

Doch schon damals war klar, dass es Wolfgang Clement für die ganz hohen Weihen an Charisma und Wärme fehlt - da konnte er sich noch so sehr durch ausgedehnte Jogging-Läufe volksnah geben. Er kam als eher kühler Technokrat rüber, als politischer Vollstrecker, nicht aber als Menschenfischer wie vor ihm in Düsseldorf Johannes Rau, der mit seinen Witzchen politische Runden unterhalten konnte.

Dabei wusste Clement, einst Redakteur der Westfälischen Rundschau in Dortmund und Chefredakteur der Hamburger Morgenpost, genau um die Mechanismen der Mediengesellschaft.

Vom Verändern besessen

Seine stärkste Rolle war die Beratung von Kandidaten wie Rau, das Strippenziehen in der Kulisse. Selbst aber konnte er dieser Mediengesellschaft nicht geben, was sie verlangt: ein sympathisches Profil, verbunden mit Berechenbarkeit und gelegentlichen Showeinlagen.

Clement war einfach nur standfest - und vom Verändern besessen.

Von der Welt der Ortsvereine mit ihren Stallgerüchen hat er sich weit entfernt. Typisch, dass sie ausgerechnet in seiner Heimat Bochum den Parteiausschluss betrieben. Hier gilt die Kaninchenzucht noch etwas, hier ist nicht alles gleich Weltmarkt.

Clement aber sah die moderne, globalisierte Welt - und wollte Deutschland wettbewerbsfähig machen wie ein McKinsey-Seniorberater. Überhaupt begriff er Politik als Consultant, nicht als Kontrollinstanz der Wirtschaft.

Geglückte Industriepolitik war für ihn, wenn nationale Champions gegen die Rivalen aus USA, Japan oder Frankreich gut mithalten konnten.

In der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise freilich sind ganz andere Rezepte gefragt. Jetzt greift der Staat überall als letzter Retter ein - zumindest so lange, wie es etwas zu retten gibt. Jetzt sagen sich alle: Hatte Marx nicht recht?

In dieser Lage zieht sich Wolfgang Clement zurück. Er wird weiter seine Kolumnen in Welt am Sonntag und Cicero schreiben und sich an der SPD reiben - "seiner SPD", wie er sie sieht.

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