Sparkurs in Irland:Die Furcht der Zornigen

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Mehr als 100.000 Iren protestieren gegen Sparpläne der Regierung - sie sorgen sich um ihren Lebensstandard.

Wolfgang Koydl

In wirtschaftlich schweren Zeiten bleibt häufig nur die Hoffnung auf einen Glückstreffer im Lotto oder auf einen sicheren Tipp beim Pferderennen. Das weiß man auch bei Paddy Powers, Irlands führendem Wettbüro, und deshalb ersann man hier eine besondere, den grimmigen ökonomischen Umständen angemessene Wette: Die Iren konnten tippen, welche Berufsgruppe als erste aus Protest gegen das drakonische Sparprogramm der Regierung in den Streik treten würde.

"Wir zahlen nicht für die Gier der Superreichen" - Protestplakat von aufgebrachten Iren. (Foto: Foto: AP)

Die Wette wurde mittlerweile wieder zurückgezogen. Es blieb unklar, ob dies aus Gründen politischen Anstandes geschah oder nur deshalb, weil sich kein Favorit für die Streikfrage herauskristallisierte. Sicher ist nur, dass die Stimmung der Wähler auf der grünen Insel explosiv ist. Nur "zwei Impulse" sind nach den Beobachtungen von David Begg, dem Generalsekretär des irischen Gewerkschaftsverbandes Ictu lebendig: "Furcht und Zorn".

Beide Gefühle entluden sich am Wochenende, als 120.000 Menschen in den Straßen der Hauptstadt Dublin gegen die Regierung von Ministerpräsident Brian Cowen demonstrierten. In die Sorge um Arbeitsplätze und vor sinkendem Lebensstandard mischte sich auch die Wut über eine "Business-Elite", die das Land in die tiefste Krise der jüngeren Geschichte gestürzt hat. Aus dem allerorten bewunderten brüllenden "Keltischen Tiger" ist ein zitterndes Kätzchen geworden, das nicht nur Mitleid heischt, sondern vielleicht bald schon konkrete finanzielle Hilfe des Währungsfonds oder der Partner in der Europäischen Union benötigt.

Irland war der erste Staat der Eurozone, der im September vergangenen Jahres nach zwei Quartalen negativen Wachstums offiziell von Rezession sprach - und seitdem ist es nur noch bergab gegangen, schneller und steiler als befürchtet. Die Zahl der Arbeitslosen hat 326.000 erreicht und dürfte sich bis zum Jahresende auf eine halbe Million erhöhen. Das Finanzsystem ist de facto zum Erliegen gekommen und praktisch total verstaatlicht worden.

In der Eurozone hat mittlerweile nur noch Griechenland eine schlechtere Bonität als Irland, seitdem die Kreditagentur Standard and Poor Dublins Bonität von "stabil" auf "negativ" zurückstutzte. Als weitere Sorgenkinder gelten Island, Italien, Lettland und Litauen, bei beiden Letztgenannten haben Experten das Risiko eines Staatsbankrotts innerhalb der kommenden zehn Jahre mit zuletzt mehr als 80 Prozent angegeben.

Und niemand schmunzelt mehr über den bösen Spruch vom Unterschied zwischen Irland und dem nahezu bankrotten Island: "ein Buchstabe und sechs Monate". Im Oktober 2008 hatte Reykjavik den Internationalen Währungsfonds um Hilfe bitten müssen. Der Vergleich kommt der Realität inzwischen zu unangenehm nahe, als dass man ihn noch als amüsant empfände.

Die vom Gewerkschaftsdachverband organisierten Demonstrationen vom Wochenende haben Cowen und seinen Finanzminister Brian Lenihan freilich noch tiefer ins Unheil gestürzt.

Rettung via Rentenfonds

Denn plötzlich steht ein Kernelement des Rettungsprogramms zur Disposition, mit dem die Regierung zumindest ansatzweise versuchen wollte, das außer Rand und Band geratene Budgetdefizit einzudämmen: Die Zwangsabgabe, welche 350.000 Beamte und andere Staatsbedienstete zu ihrem Pensionsfonds zahlen sollen, hat den größten Ärger hervorgerufen und soll nun wieder vom Tisch.

Nach dem Grund für die Missstimmung muss man nicht lange suchen: Die sieben Milliarden Euro, mit denen die Allied Irish Bank und die Bank of Ireland rekapitalisiert wurden, entnahm die Regierung dem Nationalen Rentenreservefonds - der eigentlich die Ruhestandszahlungen von Beamten und anderen Staatsbediensteten garantierten sollte.

Aber sparen muss Dublin, denn Steuererhöhungen hat Finanzminister Lenihan fürs Erste ausgeschlossen. Das Defizit im Staatshaushalt aber liegt bereits bei 9,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - gegenwärtige Sparmaßnahmen bereits mit eingerechnet. Das ist dreimal mehr als die EU in ihrem Stabilitätspakt vorgesehen hat, die Neuverschuldungsgrenze liegt bei drei Prozent.

Ohne Kürzungen der öffentlichen Ausgaben freilich würde sich das irische Defizit auf elf bis zwölf Prozent des Bruttoinlandsproduktes erhöhen - mit nicht mehr absehbaren Konsequenzen auf die Kreditwürdigkeit des Landes und auf die Fähigkeit der Regierung, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Dann bliebe nur noch der Weg ins Wettbüro.

© SZ vom 24.02.2009/bosw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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