Spanien:Wahlen im Zeichen des Terrors

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Wahlkampfauftritte hat es nach den Terroranschlägen in der Hauptstadt Madrid nicht mehr gegeben, doch die Wahl absagen wollte niemand. Am Sonntag gehen die Spanier nun misstrauisch an die Urnen.

Es war, als hätten die Spanier sich all ihre Wut und Fassungslosigkeit über die Anschläge von der Seele schreien wollen. Die Demonstrationen gegen den Terror, an denen im ganzen Land mehr als elf Millionen Menschen teilnahmen, waren eigentlich als Schweigemärsche gedacht. Doch überall skandierten die Teilnehmer Sprechchöre wie "Mörder, Mörder!", oder "Uns alle hat man in diesen Zügen getötet!".

Dass in einer solchen Atmosphäre an diesem Sonntag Parlamentswahlen stattfinden, hält so mancher für fehl am Platz. "Am besten wäre es gewesen, die Wahlen zu verschieben", meint Kioskbesitzer Juan. "Quatsch", entgegnet ein Zeitungskäufer. "Genau das wollen doch diese Hurensöhne, dass wir nach ihrem Rhythmus tanzen." Deshalb gehe sie auch auf jeden Fall wählen, meint Catalina. "Bisher habe ich es nicht getan, weil ich alle Politiker gleich finde, aber nun habe ich mir gesagt: Jetzt erst recht!", sagt die Mittvierzigerin.

Die schrecklichen Bilder gehen mit ín die Wahlkabine

Inwiefern die Anschläge das Wählerverhalten und die Beteiligung beeinflussen werden, ist schwer zu sagen. Fest steht aber, dass jeder in der Wahlkabine die schrecklichen Bilder vom Donnerstag im Kopf haben wird. Und da spielt es eine große Rolle, wer hinter dem Blutbad steckt.

War es nämlich al Qaida, so könnte dies die als großer Favorit geltende Volkspartei (PP) des scheidenden Ministerpräsidenten José María Aznar Stimmen kosten und die Sozialisten (PSOE) begünstigen: 90 Prozent der Spanier und alle anderen Parteien hatten die Unterstützung der Regierung für den Irak-Krieg strikt abgelehnt. Dass es - wie von El Kaida angedroht - dafür Vergeltungsschläge in Spanien geben könnte, stand dabei auch stets im Raum.

Die womöglich entscheidende Frage: "Wer ist es gewesen?"

So verwundert es nicht, dass einer der häufigsten Sprechchöre bei den Massenkundgebungen lautete: "Wer ist es gewesen?". Da viele Spanier eher zu islamistischen Terroristen als Urhebern tendieren, verwundert es auch nicht, dass Aznar bei der Kundgebung von Teilnehmern ausgepfiffen wurde. In Barcelona mussten Vizeregierungschef Rodrigo Rato und der katalanische PP-Vorsitzende Josep Piqué sogar von der Polizei vor wütenden Demonstranten in Schutz genommen werden. "Ihr Mörder", schrien sie.

"Nein zum Terrorismus, nein zum Krieg", lautete bezeichnenderweise das Motto der Kundgebung in der von den Sozialisten regierten Mittelmeer-Metropole. "Die Frage ist, ob die Regierung aus Eigennutz andere Möglichkeiten ausschließt und deshalb einen ETA-Hintergrund als den glaubwürdigsten betrachtet", meinte am Samstag die linksliberale Zeitung "El País". Die Anweisung von Außenministerin Ana Palacio an alle Botschafter im Aulsand, jede Gelegenheit zu nutzen, um die Hypothese der ETA-Täterschaft zu vertreten, trage dazu bei, "den Argwohn zu nähren", schrieb das Blatt weiter.

Viele denken aber auch wie der Dreher Manuel Soriano. "Was soll's, die Toten sind tot, da kann man nichts mehr machen", sagte er bei der Kundgebung in Madrid. PP-Spitzenkandidat Mariano Rajoy appellierte indes vorsichtshalber an die Spanier: "Ich hoffe, dass der Terror die Entscheidung bei der Stimmabgabe nicht beeinflusst. Die Terroristen sollten nicht für die Wähler entscheiden, welcher Partei sie das Vertrauen geben."

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