Spätabtreibungen:Der Schock der Gewissheit

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Unter bestimmten Bedigungen dürfen Frauen abtreiben - darüber ist man sich in Deutschland weitgehend einig. Doch gilt das auch noch wenige Tage vor der Geburt? Die Union will jetzt bei Spätabbrüchen eine Bedenkzeit für Eltern erzwingen, die einen behinderten Fötus abtreiben wollen.

Von Heidrun Graupner

Der Bischof von Fulda sprach aus, was sich manche wünschen, auch manche in der Union: Nicht allein das Problem der Spätabtreibungen, vielmehr die gesamte Abtreibungsregelung gehöre wieder auf den Prüfstand, sagte Heinz Josef Algermissen.

Genau solche Forderungen aber sind der Grund, warum Versuche, die bedrückende Praxis der Spätabtreibungen zu ändern, bisher gescheitert sind: Die Furcht davor, dass das mit Müh geschnürte Paket der Abtreibungsreform von 1995 wieder aufgeschnürt wird.

Koalition: Kein Handlungsbedarf

Schon 2002 hatte die Union den Entschließungsantrag "Vermeidung von Spätabtreibungen - Hilfen für Eltern und Kinder" vorgelegt, aber ohne Erfolg. Am Donnerstag soll der Bundestag nun zum zweiten Mal über den Antrag entscheiden. Die Koalition hat bereits angekündigt, dass sie keinen Handlungsbedarf für eine solche Gesetzesänderung erkennen kann.

Als 1995 der Abtreibungskompromiss verabschiedet wurde, waren sich die Parteien in einem Punkt einig: Die bis dahin geltende embryopathische Indikation, also die Behinderung des ungeborenen Kindes als Abtreibungsgrund, sollte es nicht mehr geben. Vor allem Behindertenverbände und die Kirchen hatten dazu gedrängt.

Neben dem Abbruch aus psychosozialen Gründen, der bis zur zwölften Woche möglich ist, wurde die medizinische Indikation eingeführt: Nicht die Behinderung des Kindes, sondern die Gefährdung der Mutter sollten über den Abbruch entscheiden.

Im Gegensatz zur früheren embryopathischen Indikation, bei der ein Abbruch bis zur 22. Schwangerschaftswoche möglich war, sollte die medizinische Indikation nun ohne Fristen gelten. Auch die Beratungspflicht sollte es in solch einer schwierigen Situation nicht geben.

Die gute Absicht erwies sich als Irrtum. Denn mit der medizinischen Indikation sind Abtreibungen jetzt bis zum Tag der Geburt möglich. Kinder überleben, wie 1997 in Oldenburg geschehen, Abtreibungen; bereits nach der 22. Schwangerschaftswoche sind sie außerhalb des Mutterleibs lebensfähig. Damit dies nicht geschieht, töten Ärzte behinderte Föten im Mutterleib.

Genaue Statistiken über Spätabtreibungen existieren nicht. Registriert wurden vergangenes Jahr 2044 Abbrüche zwischen der 13. und der 23. Schwangerschaftswoche und 217 nach der 23. Woche. Man geht aber von einer hohen Dunkelziffer aus.

Eine neue Fristenregelung, die manche Ärzte fordern, will die Union mit ihrem Antrag aber nicht wieder einführen. Zwar seien die Zahlen insgesamt nicht sehr hoch, sagt die CDU-Bundestagsabgeordnete Maria Böhmer, doch stehe dahinter die dramatische Entwicklung, dass zu einem sehr späten Zeitpunkt abgetrieben werde.

Union fordert psychosoziale Pflichtberatung

Die Union will daher auch für die medizinische Indikation eine psychosoziale Pflichtberatung einführen. Die Diagnose soll von einem interdisziplinär besetzten Ärztekollegium begutachtet werden; Ziel sei es, den Eltern "umfassende Hilfestellung bei ihrer Entscheidung zu geben". Zudem verlangt die Union eine Ergänzung des Paragraphen 218: Eine Behinderung des Fötus sei allein keine Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Mutter - da ja eine Behinderung kein Grund für eine Abtreibung sein dürfe.

Für notwendig hält die Union zudem eine Bedenkzeit von drei Tagen vor einem Schwangerschaftsabbruch. SPD und Grüne lehnen vor allem Pflichtberatung und Ärztegremium ab, da Frauen in diesem schweren Konflikt noch zusätzlich unter Druck gesetzt würden.

Die Union fordert außerdem eine Änderung des Arzthaftungsrechts. Nach Entscheidungen des Bundesgerichtshofs müssen Ärzte nach mangelhafter Pränataldiagnose Schadenersatz und lebenslangen Unterhalt für das Kind zahlen. Manche Ärzte verhalten sich deshalb defensiv, sie empfehlen im Zweifelsfall eine Abtreibung. Die Union schlägt daher vor, zu prüfen, ob sich die Arzthaftung auf "grobe Fahrlässigkeit" beschränken lässt.

Das Bundesverfassungsgericht, heißt es im Unions-Antrag, habe bei der Abtreibungsreform verlangt, dass nachgebessert werden müsse, wenn das Gesetz dem Lebensschutz nicht genüge. Bei der Spätabtreibung sei dies notwendig. Mag sein, dass die Union in diesem Punkt keine juristische Unterstützung findet: 2002 bezeichnete der Bundesgerichtshof Spätabtreibungen als rechtmäßig, wenn die Gesundheit der Mutter bedroht ist.

© SZ vom 10.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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