Sozialabgaben:Wider die Versuchung

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In den Kassen der Arbeitslosenversicherung haben sich elf Milliarden Euro angesammelt. Weil die Konjunktur läuft, können das bald 20 Milliarden sein. Doch die Politik denkt gar nicht daran, einen Teil der Beiträge zurückzugeben.

Von Cerstin Gammelin

Bisher hat die große Koalition eine Debatte über steigende Sozialabgaben geschickt vermieden. Auch für das Wahljahr zeichnete sich bis jetzt nur das Ringen der Parteien um die größte Steuersenkung ab, und um die künftige Rentenpolitik. Aber nun, da der Gesundheitsminister dem Bürger über steigende Beiträge zur Pflegeversicherung das wenige wieder abnimmt, das ihm der Finanzminister zum Jahreswechsel über eine kleine Steuererleichterung zugestanden hat, rücken die Abgaben in die deutschen Sozialversicherungen in den Fokus.

Schon lange gibt es ernstzunehmende Warnungen, wonach die Sozialbeiträge bis 2030 von heute 40 Prozent auf mehr als 50 Prozent des Bruttolohns steigen. Mit der Folge, dass den Bürgern immer weniger bleibt, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Für die Versicherungen zur Rente, für Gesundheit und Pflege gibt es immerhin eine schlüssige Begründung, warum die Beiträge anziehen - auch die Leistungen dieser Sozialversicherungen steigen.

Ganz anders allerdings sieht die Lage bei der Arbeitslosenversicherung aus. Sie hat inzwischen so viel Geld angehäuft, dass sich die Bundesagentur für Arbeit locker goldene Wasserhähne leisten könnte. Seit etlichen Jahren boomt der deutsche Arbeitsmarkt. Immer mehr Menschen finden sozialversicherungspflichtige Jobs. Auch Löhne und Gehälter steigen teils kräftig an. Was wiederum dazu führt, dass die Obergrenzen anziehen, bis zu denen Beschäftigte in die Sozialversicherungen einzahlen müssen. Für die Arbeitsagentur ergibt sich daraus der glückliche Umstand, dass sie nicht mehr weiß wohin mit dem Geld. Denn nicht nur ihre Einnahmen steigen kräftig. Zugleich muss sie dank Rekordbeschäftigung deutlich weniger auszahlen.

Elf Milliarden Euro liegen bei der Arbeitslosenversicherung

Inzwischen hat die Arbeitslosenversicherung elf Milliarden Euro an Reserven angehäuft. Allein 2016 zahlten die Beschäftigten mehr als fünf Milliarden Euro mehr ein als gebraucht wurden. In diesem Jahr wird der überschüssige Betrag nochmals deutlich anwachsen, weil die Konjunktur gut läuft und fast eine halbe Million neuer Jobs erwartet wird. Umso verwunderlicher ist, dass es die Bundesregierung bisher versäumt hat, den Beitragssatz zu senken und die Bürger zu entlasten.

Offenbar ist die Versuchung groß, sich die Milliarden aufzusparen, um kollektive Sozialleistungen auszuweiten: Weiterbildungen, Sprachkurse, Schulungen fürs digitale Zeitalter, die Liste der Wünsche ist lang. Und im Grunde genommen ist nichts dagegen zu sagen, wenn sich Menschen fortbilden. Allerdings ist das alles kein Freibrief dafür, die Milliardenüberschüsse aus der Arbeitslosenversicherung allzu freizügig oder gar sachfremd zu verwenden. Im Gegenteil. Wer will, dass die Bürger in Deutschland dem Sozialstaat weiter vertrauen, muss ihnen das Geld, das sie zu viel einzahlen, wieder zurückgeben. So, wie es im normalen Leben üblich ist.

Es grenzt an Betondenken, dass die zuständige Arbeitsministerin und ihr Agenturchef jetzt erklären, eine Beitragssenkung käme nicht infrage, weil das Geld irgendwann gebraucht werden könnte. Man stelle sich das einmal vor: Nahles und Weise wollen den Beschäftigten weiter zu hohe Beiträge abverlangen, obwohl sie wissen, dass sie in einem Jahr auf 20 Milliarden Euro Reserve sitzen könnten. Und das in Zeiten, in denen die Zinsen um null schwanken und einige Banken einen Obulus von ihren Kunden verlangen, wenn sie große Geldbeträge annehmen. Was bedeutet, dass das viele Geld der Beitragszahler nicht einmal gewinnbringend angelegt werden kann.

Verantwortungsvolle Politik sieht anders aus. Gerade im Wahljahr sollten sich die Parteien ehrlich machen und den Bürgern zurückgeben, was ihnen zusteht.

© SZ vom 04.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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