Sondierungsgespräche:Brückenbauer, Fallensteller, Joker

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Bei den Sondierungen für eine Koalition aus Union, FDP und Grünen werden viele Politiker mitwirken. Doch sie haben unterschiedliche Interessen - und längst nicht alle wollen, dass das Bündnis gelingt.

Von Stefan Braun und Jakob Schulz

Berlin - Kommende Woche geht es los: Von Mittwoch an werden Union, FDP und Grüne ausloten, ob sie in Koalitionsverhandlungen eintreten. Dabei werden nicht nur unterschiedliche Parteien, sondern auch sehr unterschiedliche Personen mitwirken. Klar, die Verhandlungsführer sind gesetzt: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer, FDP-Chef Christian Lindner und die Grünen-Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir. Dazu aber kommen auch viele aus der zweiten Reihe. Das sind Politiker mit unterschiedlichen Zielen und sehr unterschiedlichen Rollen.

Die Brückenbauer

Der leutselige Kanzleramtsminister und Wahlkampfchef Peter Altmaier wird für die CDU eine Schlüsselfigur sein. Wie kaum einer sonst kennt er wichtige Personen auch in den anderen Parteien. Und er kennt die Schmerzpunkte, die bei jeder beteiligten Partei so etwas wie "no go-areas" darstellen. Das kann ihn befähigen, in den Sondierungen immer wieder die richtige Tonlage zu finden. Außerdem will er, dass der Jamaika-Anlauf gelingt. Deshalb wird er viele Versuche unternehmen, auch mit unkonventionellen Ideen Brücken möglich zu machen. Sein Manko: seine unbedingte Loyalität zu Merkel hat ihm in der CSU nicht nur Freunde gebracht.

In der CSU gehört Joachim Herrmann zu den ganz wenigen, die nicht zuallererst raufen wollen, um politisch zu punkten. Der Franke gehört zum kleinen Kreis derer, die - wie einst Partei-Vordenker Alois Glück - vor allem eines tun: nach Lösungen suchen. Deshalb könnte ihm die Schlüsselposition zufallen, immer dann eine neue Idee zu präsentieren, wenn sich alle verhakt haben. Offen ist, wie viel Einfluss Herrmann tatsächlich hat. Als Spitzenkandidat müsste der eigentlich groß sein. Doch ein Spitzenkandidat, der es nicht in den Bundestag geschafft hat, muss sich diesen Einfluss womöglich neu erstreiten.

Neben Christian Lindner ist Wolfgang Kubicki derzeit der wichtigste Spieler bei den Liberalen - aufgrund seiner Erfahrung, aufgrund seiner Unabhängigkeit und aufgrund seiner Überzeugungen. Der Kieler gehörte nie zu den neoliberalen Hardlinern, sondern zu denen, die ein Gespür für soziale Schieflagen haben. Und er hat Spaß daran, Neues zu wagen. Außerdem pflegt er gute Beziehungen zu den meisten anderen Parteien und hat erste Brücken zu den Grünen gebaut, als beide in Schleswig-Holstein noch in der Opposition waren. Er wird, wenn es eng werden sollte, nicht gleich aufgeben. Seine oft flinke Zunge aber kann manchen auch böse verprellen.

Bei den Grünen galt Robert Habeck, Umwelt- und Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein, schon vor der Wahl als wichtiger Kopf, wenn es darum geht, die Grünen in die Zukunft zu führen. Seit der Wahl hat er schon fast die Rolle desjenigen übernommen, der Perspektiven und Aufgaben einer möglichen Jamaika-Koalition entwirft. Er will, dass ein solches Bündnis ernsthaft geprüft wird, aber die Grünen auch die Kraft behalten, Nein zu sagen. Dabei redet er nicht nur über ur-grüne Themen. Er sieht seine Partei in der Verantwortung, in einem Jamaika-Bündnis auch soziale Veränderungen durchzusetzen. Dass ihm bei all dem die Kreativität für neue Wege ausgeht, ist eher unwahrscheinlich.

Die Fallensteller

Seiner CSU mag es gerade schlecht gehen, für Markus Söder läuft es prächtig. Der Franke möchte nächster CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident werden. Das wusste Horst Seehofer bislang zu verhindern. Nach der Wahl aber liegt die CSU am Boden und mit ihr der Parteichef. Trotz der anscheinend günstigen Gelegenheit hat Söder die Palastrevolte bislang vertagt. In die für die CSU komplizierten Jamaika-Gespräche würde er ungern hineingezogen werden. Gleichwohl wird ein Söder in Lauerstellung die Verhandlungen schnell stören, wenn es in seinen Plan passt.

Von allen Wahlverlierern ist Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich der größte. Die sächsische CDU verlor nicht nur dramatisch, bei der Zahl der Zweitstimmen in Sachsen rutschte sie sogar hinter die AfD. Tillich und sein Landesverband galten schon immer als konservativ. Nun dürfte Tillich noch stärker zum Hardliner in der Union avancieren und die Kanzlerin unter Druck setzen. Das tut er schon jetzt, etwa mit dem "Wunsch, dass Deutschland Deutschland bleiben" müsse. Merkel muss den angeschlagenen Tillich einhegen und darf Grüne und FDP nicht verprellen.

Für die Grünen bleibt neben Jürgen Trittin vor allem Simone Peter eine unberechenbare Größe. Wieder und wieder macht die Parteivorsitzende klar, dass sie Jamaika eher scheitern lassen würde, als ihre grüne Identität zu verraten. Sie ist derzeit sogar im engeren Kreis des Sondierungsteams gesetzt und könnte als linke Parteichefin für die Realo-Grünen zum großen Problem werden. Sie formuliert Vorbehalte und rhetorische Stoppschilder, wo Özdemir und Göring-Eckardt Brücken bauen. Entsprechend distanziert ist ihr Verhältnis zu den Realo-Spitzenkandidaten. Wie Jürgen Trittin, ihr politischer Ziehvater.

Die FDP-Spitze hat das Glück, dass alles Gezänk aus der Vor-Lindner-Ära derzeit keine Rolle spielt. Das heißt aber nicht, dass Lindner und seine Truppe auf Dauer keine Gegner haben. Noch verstecken sie sich, vielleicht tun sie das noch länger. Aber auch für einen Lindner in starker Position werden sich schwierige Fragen stellen - und nicht alle werden seine Antworten richtig finden. Noch ist der Fallensteller bei der FDP ein Unbekannter. Aber auch Lindner hat bei der alten Führung Narben hinterlassen, die keiner vergessen hat.

Die Joker

In der CDU ist das vor allem Wolfgang Schäuble. Er hat zuletzt oft den Hardliner gegeben, insbesondere beim Euro. Darüber sollte man aber nie vergessen, welche Lust der Badener hat, Neues zu versuchen. Jedenfalls dann, wenn es nicht nach Spinnerei, sondern nach spannender Idee aussieht. Zur sogenannten Pizza-Connection schwarzer und grüner Politiker gehörte er nie - aber als damaliger Fraktionschef hatte er jungen Christdemokraten Unterstützung für solche Experimente versprochen. Ihn reizt das Projekt, wenn es tatsächlich nach Aufbruch aussehen könnte. Deshalb wird er genau dann noch mal neu denken, wenn die Gespräche zu scheitern drohen.

Der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel hält sich meistens zurück. Aber er tut das nicht immer. So wie er im Wahlkampf jenen in der CSU eine Stimme gab, die Angela Merkel unterstützt haben. Er ist nicht mehr in vorderster Front, keine Frage. Aber er kann, wenn seine CSU zu verhärtet auftritt, einen moderierenden Zwischenruf wagen. Er kommt an alle ran, vor allem bei den Konservativen. Er könnte durch seine historische Autorität auch bei vielen CSU-Sondierern kurz vor dem Scheitern der Gespräche neues Denken anstoßen.

In der FDP könnte das Sabine Leutheusser-Schnarrenberger leisten. Sie hat einen engen Draht zur Kanzlerin und Gesprächskanäle zu den Grünen. Als Bayerin könnte es der früheren Justizministerin sogar gelingen, stille Drähte zur CSU zu nutzen. Um im schlimmsten Fall rettend zu wirken, bevor etwa Neuwahlen drohen könnten. Wie alle anderen Joker hat sie nie davon gelebt, ideologisch zu punkten. Sie ist verbindlich und vermittelnd - das könnte in diesem Herbst noch sehr helfen.

Und dann ist da noch Claudia Roth. Sie ist eine harte Vorkämpferin der Grünen und rhetorisch jederzeit in der Lage, einen Grünen-Parteitag gegen alles Böse, Schlechte, Inakzeptable aufzubringen. Aber hinter der stürmischen Fassade hat sie auch ein großes Herz, und das hat zu mancher freundschaftlichen Beziehung geführt, die der eine oder andere Partei-Dogmatiker nie für möglich gehalten hätte. Deshalb ist es gut denkbar, dass ausgerechnet sie, die so hart gegen andere austeilen kann, mit ihrer Herzlichkeit harte Positionen aufweicht. Das zu können, ist wichtig in diesen komplizierten Zeiten.

© SZ vom 13.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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