Soldaten in Israel:Vom Kriegsgefangenen zum Mythos

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Niemals lässt Israel seine Soldaten auf dem Schlachtfeld zurück, das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Denn die israelische Öffentlichkeit vergisst die Vermissten nicht, sondern verehrt sie wie Popstars.

Judith Kessler

Sinnbild aller vermissten Soldaten ist der seit 1986 vermisste Luftwaffenoffizier Ron Arad. Sein Flugzeug wurde am 16. Oktober 1986 über dem Libanon abgeschossen. Der 28-jährige Soldat konnte sich mit dem Fallschirm retten, fiel aber kurz darauf in die Hände der schiitischen Miliz Amal.

Die hatte mit dem Luftwaffen-Offizier einen guten Fang gemacht: Die noch junge Hisbollah wollte sich mit dem Gefangenen als ernst zunehmende Terrorgruppe etablieren. Verschiedene palästinensische Gruppierungen interessierten sich für Arad als Teil der verhassten israelischen Armee. Syrien sah in dem Gefangenen vor allem einen wichtigen Informanten. Und schließlich sah der Iran seine Chance mit einem Soldaten in seiner Gewalt, Israel zu provozieren und zu demütigen.

Als die Verhandlungen um Arads Freilassung 1988 scheiterten, verkaufte die Amal-Miliz den damals 30-Jährigen nach Vermutungen der israelischen Regierung an den Iran. Das letzte offizielle Lebenzeichen erhielt Arads Frau 1987. Im Mai 1988 verliert sich nach Angaben des israelischen Außenministeriums jede Spur.

In der israelischen Öffentlichkeit ist der junge Offizier auch zwei Jahre nach seiner Gefangennahme präsent. "Ron Arad was born to be free" wird nationaler Slogan und prangt unter Arads Porträt auf Plakaten, Aufklebern und Buttons. Arad wird zum Popstar. Am Jahrestag seines Verschwindens gedenken tausende Israelis seinem Verschwinden.

Hisbollah als Verhandlungspartner

Arads Gefangennahme zwingt Israel, die Hisbollah als Verhandlungspartner und einzige Verbindung zum Erzfeind Iran zu akzeptieren. In drei größeren Verhandlungsrunden bemühte sich Israel um die Freilassung seines Offiziers - vergeblich. Auch der Einsatz der deutschen Regierung brachte keinen Erfolg und warf so immer wieder die Frage auf, ob nicht alle Mühe vergebens und Arad bereits seit Jahren nicht mehr am Leben war.

Zu keinem Zeitpunkt gab es gesicherte Informationen über sein Schicksal. Im Jahr 2002 - 18 Jahre nach Arads Verschwinden - beruft das Verteidigungsministerium eine Untersuchungskommission zum Verbleib des Offiziers ein. Die Veröffentlichung des Untersuchungsberichts, der Arad lebend in iranischer Gewalt vermutet, ist der Startschuss für eine einzigartige Kampagne. Fast zwei Jahrzehnte nach Arads Verschwinden setzt Israels Regierung eine Belohnung von 10 Millionen Dollar für jegliche Information über Ron Arads Verbleib aus.

Das erneute Scheitern der Kampagne offenbart die Abhängigkeit Israels von der Hisbollah als Verhandlungspartner. Zwar einigen sich beide im Januar 2004 auf eine gemeinsame Untersuchung des Falles, doch erklärt Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah Anfang 2006 in einem Interview, der Israeli sei vermutlich tot, seine Leiche verschwunden.

Israels Öffentlichkeit glaubt Nasrallah nicht. Der Anwalt von Arads Familie bezeichnet den Hisbollah-Generalsekretär in der Jerusalem Post als Manipulator, dessen Behauptungen haltlos seien. Der ehemalige Direktor des Inlands-Geheimdiensts, Avi Dicther kommt ihm zu Hilfe: "Israel geht offiziell davon aus, dass Ron Arad noch immer am Leben ist."

Ron Arad ist längst zum Sinnbild der im Einsatz vermissten israelischen Soldaten geworden. Und Israel hält an seinem Volkshelden fest. Ebenso wie an den drei zuletzt in Gaza und im Libanon entführten Soldaten.

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