Skandal um Terrorlisten:Die Macht des Verdachts

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Kaum hat sich die Aufregung über geheime CIA-Flüge und illegale Gefängnisse gelegt, da sorgen die Terrorlisten der UN und der EU für Schlagzeilen. Weil zu Unrecht Aufgeführte kaum Rechtsschutz haben, halten Kritiker die Listen für skandalös.

Cornelia Bolesch

Was Youssef Nada geschah, könnte eine Geschichte von Kafka sein. Der italienische Geschäftsmann ägyptischer Herkunft geriet vor fünf Jahren auf die Schwarze Terrorliste der Vereinten Nationen. Der amerikanische Geheimdienst CIA hatte ihn im Verdacht, zu den Finanziers der Attentäter des 11. September zu gehören. Nadas Konten wurden gesperrt, seine Reisemöglichkeiten beschränkt, ohne dass Nada zu den Vorwürfen gehört worden wäre.

Für EU-Ermittler Marty kommt der Listeneintrag einer "zivilen Todesstrafe" gleich. (Foto: Foto: dpa)

Der Betroffene bat die Justiz in der Schweiz, wo er lebt, um Hilfe. Vierjährige Ermittlungen der Schweizer Staatsanwaltschaft förderten nichts Belastendes zutage. Doch Nadas geschäftliche Existenz ist ruiniert. "Meine Konten sind gesperrt, ich kann seit fünf Jahren nicht mehr arbeiten und auch nicht zu einem Arzt fahren", klagt der 76-jährige Mann. "Keiner kann sagen, dass ich in meinem Leben etwas Unrechtes getan habe."

Der Fall des Youssef Nada war für den Schweizer Juristen Dick Marty der Anlass, sich gezielt mit der Terrorliste der Vereinten Nationen und den entsprechenden Verordnungen der Europäischen Union zu beschäftigen. "Der Eintrag auf so eine Liste kommt einer zivilen Todesstrafe gleich", meint Marty. Die Verwaltung dieser Listen sei "skandalös und rechtsstaatlich nicht vertretbar". An diesem Mittwoch legt er der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg einen Bericht dazu vor.

Der liberale Abgeordnete und frühere Tessiner Staatsanwalt Marty ist durch seine Untersuchungen über Geheimflüge und vermutete CIA-Gefängnisse für Terrorverdächtige in Europa bekannt geworden. Manchmal ist ihm dabei das Temperament durchgegangen. Nicht immer konnte er klare Beweise für seine Anklagen präsentieren. Im Fall der Terrorlisten ist das anders. Präzise beschreibt Marty die Kälte und Ausweglosigkeit in einem rechtsfreien Raum, den sich selbst europäische Rechtsstaaten im Umgang mit Terrorverdächtigen leisten.

Marty stellt dabei die Terror-Listen nicht grundsätzlich in Frage. Es sei sogar besser, gezielt gegen Terrorverdächtige vorzugehen und zu versuchen, ihre Finanzmittel auszutrocknen, als pauschal Sanktionen über ganze Länder zu verhängen, heißt es im Entwurf einer Resolution, die am Mittwoch verabschiedet werden soll. Den Betroffenen müsse aber zwingend ein Minimum an Rechten gewährt werden. Sie müssten zu ihrem Fall gehört werden und im Notfall eine unabhängige Instanz anrufen können, die ihren Fall überprüft. Doch diese Instanz gibt es im Fall der Vereinten Nationen nicht - keinen internationalen Gerichtshof, an den man sich wenden könnte, selbst wenn die Entscheidungen des UN-Sicherheitsrats an die eigene Existenz gehen.

Kampfansage an die UN?

Beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg scheint man nicht mehr bereit zu sein, dieses rechtliche Vakuum einfach hinzunehmen. Bisher hatte sich das EU-Gericht erster Instanz nur leisetreterisch zur UN-Terrorliste geäußert und den Betroffenen geraten, über ihre jeweiligen Regierungen Protest beim UN-Sanktionsausschuss einzulegen. Doch im Gerichtshof selbst bahnt sich jetzt eine spektakuläre Wende an. In seinem Schlussantrag zur Berufungsklage eines saudiarabischen Geschäftsmannes startete Poiares Maduro, der portugiesische Generalanwalt, einen Generalangriff auf den bisherigen Umgang der Vereinten Nationen mit Terrorverdächtigen

Maduro sieht das Recht des Klägers "auf Eigentum, seinen Anspruch auf rechtliches Gehör und das Recht auf effektiven Rechtsschutz" verletzt. Und er beansprucht für den Europäischen Gerichtshof die Kompetenz, in seinem Geltungsbereich auch in der Substanz darüber zu befinden, ob sich der Name einer Person oder einer Organisation zu Recht auf der UN-Terrorliste befindet.

Folgt das Gericht in einigen Monaten diesem Plädoyer, so wäre das eine klare Kampfansage der obersten europäischen Richter an den UN-Sicherheitsrat, aber auch an die eigenen europäischen Regierungen. Auch die nämlich wollen sich von den Gerichten gerade in internationalen Fragen nicht gerne kontrollieren lassen. Ein Musterfall sind dabei die "Iranischen Volksmudschaheddin".

Die iranische Exilgruppe mit Sitz in Paris wehrt sich gegen ihre Einstufung als Terror-Organisation auf einer eigenständigen EU-Liste. Doch obwohl sie vor dem Gericht erster Instanz in Luxemburg auf ganzer Linie recht bekam, weigern sich die EU-Regierungen, die Volksmudschaheddin von der Liste zu nehmen. Nicht nur der Europaabgeordnete Paulo Casaca hat den Verdacht, dass die Exilgruppe "nur aus politischen Gründen" auf der Liste bleiben soll. Die Exil-Iraner haben eine neue Klage eingereicht.

© SZ vom 23.01.2008/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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