Siegburg:"Die wollten sehen, wie ein Mensch stirbt"

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Die Staatsanwaltschaft versucht zu klären, wie ein Häftling in Siegburg unbemerkt zu Tode gequält werden konnte

Johannes Nitschmann

Mit dem Mord an dem 20-jährigen Häftling Hermann H. steht die Siegburger Justizvollzugsanstalt (JVA) nicht zum ersten Mal in den Schlagzeilen. Das seit Jahren mit mehr als 300 Gefangenen stark überbelegte Jugendgefängnis steht bei Staatsanwälten und Richtern in dem Ruf, eine Kaderschmiede für kriminelle Karrieren zu sein. Gewalttätige Übergriffe unter den Gefangenen, sexuelle Misshandlungen und massiver Rauschgiftkonsum beschäftigen immer wieder die Strafgerichte.

Durch die Gefängnismauern dringen Gerüchte, drinnen führe seit Monaten schon "eine Russen-Mafia" das Regiment. Als "Drogenknast" ist die Siegburger JVA bereits seit Jahren verschrien. "Wer diese Haftanstalt clean verlässt, der wird sein Leben lang nicht mehr süchtig", lästert ein erfahrener Strafermittler über die laschen Vollzugspraktiken.

Die Staatsanwaltschaft Bonn muss jetzt untersuchen, ob Versäumnisse oder Schlampereien des Vollzugspersonals den qualvollen Tod des Häftlings Hermann H. begünstigt haben. Zwar glauben die Ermittler, dass drei Zellengenossen des 20-jährigen Opfers die Mörder sind. Doch Oberstaatsanwalt Fred Apostel will sämtliche Umstände dieser Tat lückenlos aufklären: "Wir werden selbstverständlich überprüfen, ob es strafbares Verhalten der JVA-Bediensteten gegeben hat."

Deshalb lehnte Apostel eine Teilnahme der JVA-Leitung an der Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft am Donnerstag strikt ab. Die Ermittler könnten nicht "gemeinsam mit Leuten auftreten, gegen die wir später vielleicht einmal ermitteln müssen".

Apostel ist ein hartnäckiger Ermittler. In den Bonner Parteispendenverfahren ging er genauso unerschrocken gegen die Polit-Prominenz vor wie später in den Untersuchungen der Korruptionsvorwürfe gegen den Müllkönig Hellmut Trienekens. Jetzt sieht sich der Bonner Oberstaatsanwalt mit einem Fall konfrontiert, "den ich mit solcher Brutalität noch nicht erlebt habe".

Justizministerin in Bedrängnis

Nach den Erkenntnissen der Bonner Staatsanwaltschaft hatten im Haus II der JVA Siegburg am vergangenen Samstag drei Häftlinge im Alter von 17, 19 und 20 Jahren den Entschluss gefasst, ihren Mithäftling Hermann H. zu töten und die Tat als Selbstmord zu tarnen. "wollten sehen, wie ein Mensch stirbt", sagt Ermittler Apostel zum Mordmotiv.

Das Opfer musste zwei Abschiedsbriefe schreiben. Dann wurde der 20-jährige über viele Stunden gedemütigt, sexuell missbraucht und mit Schlägen malträtiert. Dreimal scheiterten Versuche, das Opfer mit einem Kabel zu erhängen, weil das Material riss.

Schließlich knüpften die Täter einen Strick aus Bettlakenstreifen. Sie zwangen ihr Opfer, sich in der Zelle vor die Toilettentür auf einen Eimer zu stellen und fixierten den Strang zwischen Türblatt und Türrahmen. Im zweiten Versuch starb der 20-Jährige.

Mindestens einmal hatte das Opfer zuvor den Notrufknopf in der Zelle gedrückt. Doch die Täter sagten den alarmierten Aufsehern über die Gegensprechanlage, sie seien versehentlich an den Knopf gestoßen. Als sich benachbarte Häftlinge über den Lärm in der Viererzelle beschwerten, sahen dort Bedienstete nach. Diese ließen sich aber an der Zellentür von den mutmaßlichen Mördern abwimmeln: Sie sagten sie hätten "nur Möbel verrückt". Auch als das Mordopfer Beschimpfungen gegen türkische Mitgefangene aus dem Fenster brüllen musste, um Schläge seiner Zellengenossen zu provozieren, reagierte keiner der Aufseher.

Warum konnte ein Häftling in seiner Zelle von drei Mitgefangenen qualvoll zu Tode gefoltert werden? Wieso hat das Gefängnispersonal von diesem "stundenlangen Martyrium" nichts bemerkt?, fragen die Abgeordneten der rot-grünen Opposition im Düsseldorfer Landtag. "Das sind Fragen, die ich mir auch stelle", antwortete die Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) sichtlich verlegen im Rechtsausschuss.

Derzeit habe sie "keine Anhaltspunkte" dafür, dass Personalmangel für ein mögliches Versagen der Aufseher verantwortlich sei, sagte die Ministerin. Andererseits konnte sie aber keine verlässliche Auskunft zum "Personalstandard" für Wochenenddienste in Haftanstalten geben. Offenbar war Müller-Piepenkötter auch unbekannt, dass Häftlinge in nordrhein-westfälischen Gefängnissen an Wochenenden "bis zu 21 Stunden weggeschlossen" werden, wie SPD-Fraktionsvize Ralf Jäger kritisierte.

Wegen akuten Personalmangels wird samstags und sonntags das Abendbrot gleich mit dem Frühstück auf die Zellen geliefert. An Wochenenden werden die Häftlinge bereits mit der Ausgabe des Mittagessens um halb zwölf eingeschlossen - bis zum nächsten Morgen um neun Uhr. Diese Praktiken seien ihr "erst jetzt bekannt geworden", versicherte die Ministerin.

Im Gegensatz zu ersten Informationen gestand Müller-Piepenkötter vor dem Rechtsausschuss ein, die Mord-Zelle sei nur für drei statt vier Gefangene ausgelegt gewesen. "Es war eine Notgemeinschaft." Zunächst saß das 20-jährige Opfer dort wegen Diebstahls mit einem Zellengenossen ein und galt nach einem Rauschgift-Entzug als suizidgefährdet. Am 7. November kamen zwei weitere Gefangene auf die Zelle, die wegen körperlicher Gewaltdelikte inhaftiert waren.

Über diese Ungereimtheiten im Mordfall Hermann H. verlangt die Landtagsopposition Aufklärung - notfalls in einem Untersuchungsausschuss. In der Schusslinie steht die Justizministerin. Die beklagte in einem Interview den "tragischen Tod eines jungen Menschen, den wir im Vollzug hätten verhindern müssen". Dies sei "leider nicht gelungen".

© SZ vom 17.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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