Sicherheitsrat will über Resolution abstimmen:Hunderte Tote bei Massaker in Homs

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In Syrien erreicht die Gewalt neue Ausmaße: Oppositionellen zufolge sollen bei einem Armeeeinsatz in der Stadt Homs mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen sein. Die syrische Führung macht dagegen Aufständische für die Toten verantwortlich. Trotz russischer Veto-Drohungen wird der UN-Sicherheitsrat nun doch sehr kurzfristig über eine Resolution zu Syrien entscheiden.

Im syrischen Homs hat die Armee nach Angaben von Oppositionellen ein Blutbad angerichtet. Die Sender al-Arabija und der US-Fernsehsender CNN berichteten in der Nacht zum Samstag übereinstimmend unter Berufung auf Oppositionelle, dass mehr als 200 Menschen getötet worden seien. Bei al-Arabija war von 700 Verletzten die Rede.

Dieses Bild zeigt laut syrischen Aktivisten einen Rebellen in Homs. In der Stadt wurden bei schweren Kämpfen Hunderte Menschen getötet. (Foto: AFP)

Wie CNN unter Berufung auf die Oppositionsgruppe Syrian Observatory for Human Rights berichtet, wurden 217 Menschen getötet. Ein Bewohner der Stadt sprach laut CNN von einem Massaker: "Es sind so viele Menschen auf den Straßen, die verletzt sind und sie brauchen Hilfe, aber wir können sie nicht erreichen, um ihnen zu helfen", sagte Abu Abdo Alhomsy dem Sender. Scharfschützen seien im Einsatz. "Sie sind bereit, uns alle zu töten. Sie haben kein Problem damit, es zu tun. Bitte, wir rufen die internationale Gemeinschaft zur Hilfe auf." Unter den Opfern seien auch Frauen und Kinder, berichtete CNN.

Der arabische Nachrichtensender al-Dschasira sprach von einer größeren Offensive in der Hochburg der Opposition gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad. Das Militär setzte Panzer, Granaten und Maschinengewehre ein.

Laut Informationen der Korrespondentin des Senders im Libanon attackierten vor dem Gewaltexzess Mitglieder der Freien Syrischen Armee Kontrollpunkte der regulären Truppen. Dabei seien etwa zehn Soldaten ums Leben gekommen. Danach sei offensichtlich ein Stadtteil von Homs ständig beschossen worden. Mehrere Häuser seien zerstört worden. Eine Bestätigung von unabhängiger Seite für die Angaben aus Syrien gab es nicht.

Bei al-Dschasira hieß es weiter, es würden Blutspenden, Medikamente und medizinisches Personal benötigt. Das Zentralkrankenhaus sei völlig überlastet. In Moscheen seien provisorische Lazarette eingerichtet worden.

Unklar war, was den Angriff auslöste. Es gibt aber Berichte, dass Deserteure Kontrollposten in dem Gebiet errichtet haben und versuchen, ihre Kontrolle dort zu konsolidieren, meldete die Nachrichtenagentur dapd.

Syrische Führung dementiert

Die syrische Führung hat die Berichte dementiert, wonach die Armee mehr als 200 Menschen getötet habe. Die toten Zivilisten seien "von bewaffneten Männern entführt und getötet" worden, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Sana am Samstag. Die Führung in Damaskus macht immer wieder "Terroristen" für die anhaltende Gewalt im Land verantwortlich.

Unterdessen haben Demonstranten die syrische Botschaft in Kuwait gestürmt und die Fahne der Opposition gehisst. Augenzeugen erklärten, bei der Erstürmung am Samstag seien Fensterscheiben zu Bruch gegangen. Es sei aber niemand ernsthaft verletzt worden. Die Polizei räumte das Gebiet. Einige politische Gruppen in Kuwait haben gefordert, die syrischen Diplomaten aus dem Golfstaat auszuweisen.

Am Freitag drangen syrische Regimegegner in die Botschaft ihres Heimatlandes in Berlin ein und demolierten dort Teile der Einrichtung. Wie die Polizei mitteilte, stürmten rund 30 Männer und Frauen das Gebäude. Verletzt wurde niemand. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes verurteilte den Vorfall "auf das Schärfste".

Trotz einer russischen Vetodrohung will der UN-Sicherheitsrat noch an diesem Samstag über eine Syrien-Resolution entscheiden: Marokko hat eine Sondersitzung beantragt und will seinen Entwurf dann zur Abstimmung bringen, hieß es von westlichen Diplomaten. Nur wenige Stunden zuvor hatte die Vetomacht Russland mitteilen lassen, sie wolle das auch von ihrem Botschafter ausgehandelte Papier nicht mittragen.

Russland kann mit seinem Veto jede noch so starke Mehrheit überstimmen und hat das in der Vergangenheit auch getan, um jede Kritik an seinem Waffenkunden Syrien zu unterbinden. Auf russisches Drängen war der von Arabern und Europäern eingebrachte Entwurf bereits verwässert worden, die Ächtung des Waffenhandels, der Ruf nach freien Wahlen und der Ablösung von Präsident al-Assad fand sich nicht mehr in dem Kompromiss. "Unser Standpunkt wurde ungenügend berücksichtigt", hatte Russlands Vizeaußenminister Gennadi Gatilow dennoch gesagt.

Marokkos Schritt kommt überraschend, weil allgemein mit weiteren Verhandlungen gerechnet worden war. Unklar ist, ob die Araber nun einfach eine Entscheidung wollen und notfalls Russlands Veto in Kauf nehmen. Hinter den Kulissen hatte es aber noch Kontakte auf höchster diplomatischer Ebene gegeben. So hatte US-Außenministerin Hillary Clinton mit ihrem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow telefoniert. Beide hätten vereinbart, dass die Diplomaten an den UN-Vertretungen in New York weiter nach einer Lösung suchen sollten. "Wir wollen, dass der Sicherheitsrat in einer einheitlichen und deutlichen Sprache spricht, um das syrische Volk zu unterstützen", hatte Außenamtssprecher Mark Toner in Washington gesagt.

Appell der Arabischen Liga

Die Arabische Liga hatte am Dienstag an den Sicherheitsrat einen Appell gerichtet, der mehr einem Hilferuf glich. Die Weltgemeinschaft müsse die Gewalt in Syrien, der seit März mindestens 5600 Menschen zum Opfern gefallen sein sollen, stoppen. Im Gegensatz zu vielen anderen Gremien, auch der Vereinten Nationen selbst, war der Sicherheitsrat wegen der russischen und auch chinesischen Blockade bislang stumm geblieben.

Marokko hatte mit Unterstützung der arabischen und europäischen Staaten vor einer Woche einen Resolutionsentwurf vorgelegt, der im wesentlichen einem Plan der Arabischen Liga folgt. Darin werden ein sofortiges Ende der Gewalt, politische Reformen und ein teilweiser von Präsident Assad gefordert. In zähen Verhandlungen waren die Unterstützer der Resolution, darunter auch Deutschland, Russland weit entgegengekommen. Auf Moskaus Drängen wurde auch gestrichen, es herrsche "große Sorge über anhaltende Waffenlieferungen nach Syrien". Russland hat dem international geächteten Regime gerade Kampfflugzeuge im Wert von 427 Millionen Euro verkauft.

Die Botschafter der 15 Ratsländer hatten erst am Donnerstagabend ihre Verhandlungen beendet und den erzielten Kompromiss als abstimmungsreifen Entwurf bezeichnet - vorbehaltlich der Zustimmung der 15 Regierungen. Genau vier Monate zuvor hatte Russland gemeinsam mit China schon einmal eine Resolution scheitern lassen, die UN-Botschafter Witali Tschurkin zuvor mit ausgehandelt hatte. Ein anderer Resolutionsentwurf kam im Sommer wegen des zu erwartenden Widerstandes gar nicht erst zur Abstimmung. Konkrete Sanktionen enthielt keiner der mittlerweile drei Entwürfe.

© Süddeutsche.de/dpa/AFP/dapd/infu/fran - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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