Sicherheit in Deutschland:Ernste Worte in ernster Lage

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Wie groß ist die Terrorgefahr? Die Innenminister versuchen beides: zu warnen und zu beruhigen. Weihnachtsmärkte und Fußballspiele sollen möglichst wie geplant stattfinden.

Von S. Höll und T. Schultz, Mainz/München

Bundesinnenminister Thomas de Maizière sieht für Europa und Deutschland eine Bedrohungslage, die "wirklich ernst" sei. Die Anschläge von Paris seien "Ergebnis oder Teil einer koordinierten Anschlagsserie" des sogenannten Islamischen Staates (IS). Es könne sein, dass dem Anschlag von Paris weitere Attentate folgten, sagte der CDU-Politiker am Mittwoch auf einer Tagung des Bundeskriminalamts (BKA) in Mainz. Derzeit sehe er aber keinen Anlass für eine landesweite Terrorwarnung, fügte er hinzu. Zugleich versicherten mehrere Landesinnenminister, es gebe derzeit keine Hinweise auf eine akute Gefahr in Deutschland.

Auch BKA-Chef Holger Münch sagte: "Wir haben eine ernst zu nehmende Bedrohungslage, aber keine Hinweise über den gestrigen Abend in Hannover hinaus." Am Dienstagabend war das in Hannover geplante Fußball-Länderspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden wegen Terrorhinweisen kurzfristig abgesagt worden. Der Hinweis auf einen möglichen Sprengstoffanschlag stammte von französischen Diensten.

Die deutschen Innenminister stimmten am Mittwoch ihr weiteres Vorgehen in einer Telefonkonferenz ab. Anschließend bemühte sich der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, der rheinland-pfälzische Ressortchef Roger Lewentz (SPD), um Beruhigung. Die Bedrohung für Hannover sei "sehr isoliert" gewesen. Er forderte die Bürger aber dazu auf, wachsam zu sein: "Wir brauchen die Augen und Ohren unserer Mitbürger."

Angela Merkel verteidigt die Absage des Länderspiels in Hannover

Die deutschen Behörden wollen nun alle Großveranstaltungen der kommenden Wochen genau auf die jeweilige Sicherheitslage hin überprüfen und von Fall zu Fall entscheiden, ob sie stattfinden. Das gilt auch für Konzerte und Weihnachtsmärkte. Eine generelle Absage der Märkte ist ebenso wenig vorgesehen wie ein Stopp von Sportereignissen. Auf den Weihnachtsmärkten soll es mehr Polizei geben als sonst. Spiele der Bundesliga sollen nach derzeitigem Stand wie geplant ausgetragen werden. Die Innenminister und die Polizeipräsidenten wollen gemeinsame Kriterien finden, nach denen Großereignisse abgesagt werden. Da jeder Fall im Detail anders sein wird, dürfte sich das als kompliziert erweisen.

Zur Absage des Länderspiels in Hannover sagte Lewentz: "Es war genau die richtige Entscheidung." Auch Kanzlerin Angela Merkel, die das Spiel im Stadion anschauen und damit ein Zeichen gegen den Terror setzen wollte, verteidigte die Entscheidung: "Ich war genauso traurig wie Millionen Fans, dass diese Absage erfolgen musste. Aber die Sicherheitsbehörden haben eine verantwortliche Entscheidung getroffen." Merkel dankte den Besuchern des Spiels, die den Anweisungen der Polizei besonnen gefolgt seien.

(Foto: Tim Groothuis/Witters)

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) nannte die Hinweise auf einen möglichen Anschlag in Hannover "ernst zu nehmend und belastbar". Erst seien sie wenig konkret gewesen, am frühen Abend vor dem Spiel habe sich das jedoch geändert. De Maizière sagte am Mittwochabend in der Sendung "ZDF Spezial": "Wir wissen bis heute nicht, ob der Hinweis so zutraf." Bei den Ermittlungen wurde zunächst weder Sprengstoff gefunden, noch sind Personen verhaftet worden. Allerdings gab es am Mittwoch eine anonyme Bombendrohung, die dazu führte, dass der Schließfachbereich im Hauptbahnhof von Hannover abgesperrt wurde. Der Anrufer sei noch im Bahnhof gestellt worden, sagte ein Polizeisprecher. Bereits am Dienstagabend war zudem ein Spezialeinsatzkommando in Hildesheim ausgerückt. Dabei soll es um eine Überprüfung dortiger Islamisten gegangen sein. Einen direkten Bezug zu den Vorgängen in Hannover habe es nicht gegeben, hieß es. Auch de Maizière verteidigte erneut die Absage des Fußballspiels und bat auf der BKA-Tagung um Verständnis dafür, dass sensible Hinweise auf Gefährdungen und die Hintergründe dieser Hinweise nicht in der Öffentlichkeit ausgebreitet werden könnten. Der Minister sprach von einer schwierigen Abwägung: Nehme man jeden Hinweis ernst, lege man womöglich das öffentliche Leben lahm. Ignoriere man einen wichtigen Hinweis, setze man leichtfertig Menschenleben aufs Spiel. Zum Umgang mit der Veröffentlichung von Drohungen sagte er im ZDF: "Wir wollen keinen Hinweis geben auf unser zukünftiges Verhalten.

Wir müssen unberechenbar bleiben." BKA-Chef Münch sagte, die innere Sicherheit sei nicht nur von Terror durch Dschihadisten bedroht, sondern beispielsweise auch von Rechtsextremisten, die sich in der Debatte über die Flüchtlingspolitik weiter radikalisierten. "Wir müssen künftig mit sehr viel intensiveren Wechselwirkungen zwischen extremistischen Szenen rechnen", sagte Münch. An der BKA-Tagung zu Fragen der Terrorismusbekämpfung nehmen Hunderte Sicherheitsexperten teil. Das Thema hatte bereits vor den Pariser Anschlägen festgestanden.

Nach Absage der Partie verlagert sich die Suche auf den Hauptbahnhof: In einem Zug inspizieren die Beamten einen verdächtigen Gegenstand. (Foto: Axel Heimken/dpa)
© SZ vom 19.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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