Seymour Hersh im Interview:"Das Rätsel bleibt, wie Verrückte die Regierung übernehmen konnten"

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Der beste investigative Reporter der Welt über die Neokonservativen um US-Präsident Bush, die Folterer von Abu Graib und den neuen irakischen Staatschef.

Interview von Andrian Kreye

Seymour Hersh hat sein Büro im dritten Stock eines unauffälligen Bürogebäudes aus den siebziger Jahren im Zentrum von Washington. Das fensterlose Vorzimmer ist bis auf eine Neonröhre und ein paar Regale voller Akten leer.

(Foto: N/A)

Hersh sitzt in einem zehn Quadratmeter großen Zimmer hinter einem überladenen Schreibtisch. Über dem altmodischen Computer hängt ein gerahmtes Foto von Henry Kissinger, dem einstigen Erzfeind. Den Telefonhörer unters Kinn geklemmt schreibt Hersh E-Mails.

Seit sein Buch "Die Befehlskette - vom 11. September bis Abu Ghraib" in neun Ländern fast gleichzeitig erschienen ist und in die Bestsellerliste der New York Times auf Platz fünf eingestiegen ist, kommt er kaum noch zur Ruhe. Dem 67-Jährigen ist der Wirbel um seine Person unangenehm.

"Meine 15 Minuten Ruhm", sagt er. Die dauern allerdings schon 35 Jahre. Seine Karriere begann er mit Berichten über das Vietnamkriegmassaker von My Lai. Es folgten Enthüllungen über die Rolle der CIA im Putsch von Chile, Kissingers Bombenkrieg gegen Kambodscha, die amerikanische Unterstützung von Atomprogrammen in Israel und Pakistan.

"Die Befehlskette" fasst jetzt seine Artikel im New Yorker über die Sicherheits- und Außenpolitik der USA nach dem 11. September zusammen, die in der Veröffentlichung der Fotos von Abu Ghraib gipfelte.

SZ: War Abu Ghraib Extrem oder bewusste Politik?

Seymour Hersh: Was in Abu Ghraib passiert ist, war ein Endpunkt. Wir werden allerdings herausfinden, dass die Misshandlungen in Guantanamo Bay noch viel schlimmer waren. Alleine seit das Buch erschienen ist, habe ich da noch viel mehr erfahren. Und wir wissen auch noch nichts über das geheime Team, das Gefangene nach Ägypten, Thailand, Singapur und wer weiß wohin gebracht hat.

SZ: Wo liegen die Wurzeln dieser Politik?

Hersh: Nach den Anschlägen des 11. Septembers waren wir alle sehr wütend und hatten Angst, dass die Terroristen noch einmal zuschlagen würden. Da wurden eben Leute festgenommen und grün und blau geprügelt, um etwas herauszufinden. Dann kam Guantanamo. Und Condoleezza Rice hat da ihre ganz eigene Definition von Folter entwickelt.

SZ: Im offiziellen Sprachgebrauch heißt die 'GTMO Verhörtechniken' und wurde vom Verteidigungsminister persönlich abgesegnet.

Hersh: All diese Kategorien und Handbücher haben nichts damit zu tun, was wirklich passiert ist. Sie haben geglaubt, sie könnten tun und lassen, was sie wollen. Und zwar zum Großteil mit Leuten, die sie willkürlich irgendwo aufgegriffen haben. Nach offiziellen Angaben der CIA hatten 50 Prozent aller Gefangenen in Guantanamo nichts mit Terror zu tun.

Im Irak waren es 60 Prozent. Amnesty International spricht sogar von 90 Prozent. So wie dieser britische Gefangene. Dem wurde unterstellt, dass er auf irgendwelchen Gruppenbildern mit Osama bin Laden zu sehen ist. Als er sagte, zu dem Zeitpunkt sei er in England in einem Gefängnis gesessen, haben sie ihn drei Monate lang in Einzelhaft gesteckt.

Manchmal haben sie ihn tagelang in Eis gepackt. Nach drei Monaten war er dann soweit und hat zugegeben was sie wollten. Aber das wird nicht als Folter definiert.

SZ: Trotzdem bleibt das derzeit oft bemühte moralische Dilemma: Wenn man jemanden gefangen hält, der von einem geplanten Anschlag weiß, bei dem Hunderte oder Tausende sterben würden, ist es da nicht gerechtfertigt, ihn mit Folter zu einer Aussage zu bringen?

Hersh: Auf keinen Fall. Weil man mit Folter keine brauchbaren Informationen bekommt. Entweder falsche Geständnisse von Gefangenen, die sagen, was man will, um der Folter zu entkommen. Oder falsche Aussagen. Ich habe hier die Übersetzung eines al-Qaida-Handbuches von 1997, das Richtlinien für Verhöre gibt. Als erstes steht da: Brüder, sie werden euch nackt ausziehen. Sie werden Sachen in euch hineinstecken, euch krank machen, euch bloßstellen und erniedrigen. Die wussten von Anfang an, was ihnen da blüht.

SZ: Hieß es nicht, man habe in Guantanamo wichtige Informationen bekommen?

Hersh: Ein paar brauchbare Informationen haben sie bekommen. Da gab es einen geplanten Anschlag in Bahrain und auf irgendeine Botschaft. Dafür, dass sie so viele gefoltert haben, war das aber ziemlich dürftig.

SZ: Wissen denn die Geheimdienste das nicht alles?

Hersh: Sie meinen, ob Amerikaner aus Erfahrung klug werden? (lacht) Sie meinen, wir hätten Dien Bien Phu verstanden? Sie glauben, wir sind in Vietnam einmarschiert und haben gewusst, dass Vietnam und China befreundet sind?

SZ: Wenn die USA aber so wenig von diesen Ländern wissen, woher wissen sie dann, dass Sexualität in islamischen Ländern eines der besten Druckmittel ist?

Hersh: Da gibt es dieses Buch "The Arab Mind" von Raphael Patai. Das ist für die Neokonservativen das Grundlagenwerk über die arabische Kultur. Darin findet sich übrigens auch ein Kapitel über die Sexualität als ultimativem Tabu der islamischen Kultur. Die Neokons wie Paul Wolfowitz, Richard Perle und Doug Feith sind ja sehr kluge, sehr politische Männer. Sie sind weder für Israel noch für Öl in den Krieg gezogen. Sie waren von einer utopischen Ideologie getrieben.

Wolfowitz glaubte wirklich, man könne mit 15000 Mann, ein paar Bombenangriffen und vielen Flaggen den Irak erobern, und die Demokratie würde dann wie Wasser aus einem Quell sprudeln und weiter nach Syrien und in den Iran fließen.

SZ: So einen Krieg können aber weder ein paar Berater und Minister im Alleingang beschließen, noch der Präsident.

Hersh: Das Rätsel ist, wie acht oder neun verrückte Neokonservative die Regierung übernehmen konnten. Sie haben den Präsidenten überzeugt. Sie haben den Kongress niedergerungen, das Militär kleingekriegt, das diesen Krieg hasst, und sie haben die Presse eingeschüchtert. Ich verstehe das alles nicht. Das ist ganz sicher noch ein eigenes Buch wert.

SZ: Würde sich etwas ändern, wenn Kerry die Wahlen im November gewinnt?

(Foto: N/A)

Hersh: Nicht viel. Manchmal bin ich so zynisch, mir zu sagen, dass es sogar besser wäre, wenn wir noch einmal vier Jahre Bush an der Macht hätten und er alles bis zum Äußersten triebe.

SZ: In Ihren Artikeln für den New Yorker haben Sie die die Befehlskette bis ins Pentagon verfolgt. Versucht man eigentlich, Ihnen Schwierigkeiten zu machen?

Hersh: Das Weiße Haus greift mich immer sehr scharf an. Rumsfeld und Cheney wollten schon einmal das FBI auf mich ansetzen. Das war 1975, als Rumsfeld Stabschef von Präsident Ford war, Cheney sein Stellvertreter.

Damals deckte ich auf, dass amerikanische U-Boote Spionagefahrten innerhalb der russischen Dreimeilenzone unternahmen. Jetzt haben sie behauptet, ich würde nur anonyme Quellen verwenden. Das Weiße Haus und das Pentagon stützen sich seit 50 Jahren auf anonyme Quellen, seltsamerweise muss ich mich aber ständig dafür rechtfertigen.

SZ: Der New Yorker ist für sein penibles fact-checking bekannt. Müssen Sie dort Ihre Quellen offen legen?

Hersh: Jede einzelne. Da wird auch jede Einzelheit nochmal überprüft und jede der Quellen noch einmal angerufen.

SZ: Versuchen die Leute an der Macht nicht, Ihre Quellen aufzuspüren und zum Schweigen zu bringen?

Hersh: Glauben Sie mir, einige meiner Quellen sind die Leute an der Macht. Prinzipiell ist unsere Regierung ja sehr in Ordnung. Vor allem das Militär.

SZ: Trotzdem ist das Schweigen der Regierung doch sehr erstaunlich.

Hersh: Die scheren sich um nichts. Ein paar wichtige Dinge sind daraufhin aber trotzdem passiert. Zum Beispiel haben Leute, die für Rice arbeiten über das besagte Treffen von 2002 geredet, bei dem sie zum ersten Mal von den Misshandlungen erfahren hat, was jetzt im ersten Kapitel des Buches beschrieben wird.

SZ: Der Umstand, dass Rice und Rumsfeld schon 2002 von Misshandlungen wussten und nichts taten, wäre doch eigentlich eine Sensation. Die amerikanischen Medien haben sich da aber bedeckt gehalten.

Hersh: Ich weiß. Aber da gibt es all diese Geschichten, die liegen ganz offen herum. Manchmal bin ich den anderen fast dankbar, dass sie mir alles überlassen. Nehmen Sie den irakischen Regierungschef Ijad Allawi.

An den hat sich noch niemand herangetraut. Er war eine der Schlüsselfiguren, als Saddam die Baathpartei übernommen hat. Dabei sind viele Leute umgebracht worden. Danach gehörte Allawi zu den Loyalisten und irgendwann ging er ins Ausland, um Neurologie zu studierten. Aber er brauchte zehn Jahre dafür, war irgendwie auch in die Mukhabarat verwickelt, kümmerte sich um irgendwelche Leute. Ich kann nicht behaupten, dass er den Abzug gezogen hat. Aber Allawis Hände sind voll Blut.

SZ: Es gab Berichte, dass er in den neunziger Jahren als Agent der CIA im Irak für Anschläge auf einen Schulbus und ein Kino verantwortlich war.

Hersh: Der hat Geld von allen möglichen ausländischen Geheimdiensten genommen. Der Punkt ist : Wer ist denn dieser Allawi? Das ist ein nichtreligiöser Schiit, ein Strohmann, der im Ausland gelebt hat, während die Schiiten im Irak gekämpft haben und umgebracht wurden. Und dann kommt er einfach zurück und übernimmt die Macht. Jetzt hat er sich auch noch in Washington feiern lassen. Der gesamte Kongress hat ihm applaudiert. Ich sage Ihnen, es gibt noch so einige andere Geschichten, die ich in Vorbereitung habe.

© SZ vom 2. Oktober 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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