Sexuelle Gewalt:Lebenslang, zum Schutz der Kinder

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CSU fordert, Verurteilungen wegen Missbrauchs nicht aus Führungszeugnis zu löschen.

Von Edeltraud Rattenhuber, München

Wiederholt gelang es verurteilten Missbrauchstätern in der Vergangenheit, in Einrichtungen anzuheuern, die mit Kindern arbeiten. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Lügde, Staufen, Bergisch Gladbach - die jüngst bekannt gewordenen schweren Missbrauchsfälle bringen Bewegung in die politische Debatte, wie Kinder vor sexuellem Missbrauch besser geschützt werden können. So will Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sexualisierte Gewalt gegen Kinder künftig als Verbrechen und nicht länger als Vergehen einstufen. Und die CSU fordert nun, den Straftatbestand Kindesmissbrauch nicht mehr aus dem polizeilichen Führungszeugnis zu löschen. Damit erntet sie nicht nur die Zustimmung von Opferverbänden, sondern auch vom Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig.

Rörig sagte der Süddeutschen Zeitung, aus seiner Sicht überwiege bei diesem Thema das Schutzinteresse der Kinder das Resozialisierungsinteresse der Täter. Daher begrüße er den Vorstoß der CSU. Allerdings warnte er vor zu viel Optimismus. Fakt sei, dass "das erweiterte Führungszeugnis nur vor bereits verurteilten Sexualstraftätern schützen" könne. "Die Mehrzahl der Täter ist aber weder entdeckt noch verurteilt", so Rörig. Eine Einschränkung möchte Rörig bei jugendlichen Missbrauchstätern machen. Für sie dürfe der lebenslange Eintrag nicht gelten, "da melde ich einen Vorbehalt an." Bei Jugendlichen könne man pädagogisch und therapeutisch besser nachsteuern.

Der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, hatte der Deutschen Presse-Agentur gesagt, man wolle erreichen, dass wegen Kindesmissbrauch verurteilte Straftäter ihr ganzes Leben lang keinen beruflichen oder ehrenamtlichen Umgang mit Kindern mehr haben dürfen. Daher müsse dafür gesorgt werden, dass ein solches Urteil "dauerhaft, lebenslang in das erweiterte Führungszeugnis eingetragen wird", sagte Dobrindt. "Wer sich an den Schwächsten unserer Gesellschaft vergeht, der darf auch nie wieder beruflich oder ehrenamtlich Umgang mit Kindern haben." Bereits im Februar hatten die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern und das Saarland über den Bundesrat das Ende der Löschungsfristen eingebracht. Immer wieder haben Opfervereine darauf hingewiesen, wie wichtig der Eintrag "sexueller Kindesmissbrauch" im erweiterten polizeilichen Führungszeugnis ist. Und dass er nicht gelöscht werden darf. Zum Beispiel Zartbitter in Köln, eine der ältesten Kontakt- und Informationsstellen gegen sexuellen Missbrauch in Deutschland. Im Oktober twitterte der Verein, die Verpflichtung zur Vorlage eines Führungszeugnisses bei der Einstellung bleibe eine "politische Alibimaßnahme", wenn die Löschfrist nicht erhöht werde. Derzeit wird der Eintrag nach zehn Jahren gelöscht.

Seit Jahren weiß man, dass Tätertherapien bei Erwachsenen nur begrenzt erfolgreich sind

Die Vorsitzende von Zartbitter, Ursula Enders, kann eine solche Maßnahme, wie sie Dobrindt vorschlägt, daher nur befürworten. Enders erinnert sich noch gut daran, wie sie und ihre Kollegen in den Neunzigerjahren "alle im Bundestag" angeschrieben hätten, da zu dieser Zeit der Eintrag ins Führungszeugnis für Bewerbungen mir nichts dir nicht gelöscht werden konnte. Bei Kindesmissbrauch sei oft der Resozialisierung der Täter Vorrang vor den Belangen der Opfer gegeben worden, sagt Enders. Seit Langem wisse man aber, dass Tätertherapien bei Erwachsenen nur begrenzt erfolgreich seien und dass der "Erfolg" oft lediglich darin bestehe, dass der Täter eine positive Einschätzung über sich selbst abgebe. Bei jugendlichen Missbrauchstätern sei das anders, da hätten vor allem Gruppentherapien große Erfolgsaussichten. Daher plädiert Enders wie Rörig dafür, bei Jugendlichen die Möglichkeit der Löschung des Eintrags im Führungszeugnis zu belassen.

Laut Enders ist es die "klassische Täterstrategie", in pädagogische Arbeitsfelder zu gehen. "Wir erleben sehr häufig, dass verurteilte Missbrauchstäter immer wieder in Vereinen oder anderen Einrichtungen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, auftauchen." Ein Problem sei, dass nicht alle Einrichtungen darauf vorbereitet seien. Private Einrichtungen wie Tanz- oder Musikschulen oder Anbieter von Selbstverteidigungskursen ließen sich das Führungszeugnis oft gar nicht vorlegen. Enders hält es daher für unabdingbar, eine Pflicht zur Vorlage einzuführen.

Auch Ingo Fock, Vorsitzender des Vereins "gegen-missbrauch" mit Sitz in Göttingen hält einen lebenslangen Eintrag für dringend erforderlich. Fock sieht das allerdings nur als ein Puzzleteil im Bestreben, Kindesmissbrauch zu verhindern. Er kritisiert, dass die Ermittlungsbehörden unzureichend ausgestattet seien - sowohl personell als auch technisch. Zudem wird aus seiner Sicht die Gefahr der digitalen Medien unterschätzt. "Viele Anbahnungen passieren online", sagt Fock. Über integrierte Chatfunktionen bei Onlinespielen sei es für die Täter "sehr einfach, sich an Jugendliche heranzumachen". Er empfiehlt Eltern, ihren Kindern zuzuhören, wenn sie über seltsame Vorkommnisse im Netz berichten, und sich bei einem Anfangsverdacht Hilfe zu suchen.

Der Missbrauchsbeauftragte Rörig verzeichnete in den vergangenen Jahren eine starke Sensibilisierung beim Thema Missbrauch. "Ich glaube, dass das Unrecht, das Kindern angetan wird, sehr viel stärker in den Blick gerückt ist." Allerdings sei sexueller Kindesmissbrauch weiter ein "großes Tabu". Auch er sieht das Internet als einen "Hochrisikobereich" für Mädchen und Jungen. Die Interaktionsrisiken im Netz müssten dringend verringert werden. Daher begrüße er die Gesetzesinitiative von Familienministerin Franziska Giffey zur Überarbeitung des Jugendmedienschutzes.

Eine grundsätzlichere Diskussion über das Thema fordert Hans Zollner, Leiter des Centre for Child Protection mit Sitz in Rom und Mitglied der päpstlichen Kinderschutzkommission. Zollner sagte der SZ, die Maßnahmen, die derzeit gegen Kindesmissbrauch diskutiert würden, dürften kein Strohfeuer sein. "Es darf nicht nur ein Ritt auf der emotionalisierten Welle bleiben." Zollner sieht den Kampf gegen Kindesmissbrauch als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dabei müsse auch die Frage gestellt werden: "Wie viel sind wir bereit zu investieren, um die Sicherheit von Schutzbefohlenen zu gewährleisten?"

© SZ vom 14.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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