Seligsprechung des letzten Monarchen von Österreich:Der Streit um des Kaisers Art

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Am Sonntag wird Karl I. in Rom geehrt - für Anhänger war er ein Muster-Christ, für Kritiker ein hilfloser Regent mit psychopathischen Zügen.

Von Michael Frank

Wien - Triumph und Bitternis liegen nah beieinander. Und niemand vermag mit Zuckerbrot und Peitsche virtuoser zu hantieren als die katholische Kirche.

Kaiser Karl I. mit seiner Frau Zita und seinem Sohn Otto. (Foto: Foto: dpa)

Kurt Krenn, erzkonservativer Bischof der niederösterreichischen Diözese St.Pölten, reist dieses Wochenende nach Rom, um beides auszukosten: Er kann sich gleich persönlich seine vom Kirchenvolk inbrünstig ersehnte Entlassung als Oberhirte abholen - und zugleich am Sonntag den Feierlichkeiten zur Seligsprechung des letzten österreichischen Kaisers Karls I. beiwohnen.

Krenn ist Präsident der "Kaiser-Karl-Gebetsliga für den Weltfrieden", die seit Jahrzehnten die Erhebung ihres Idols zur Ehre der Altäre betreibt, und die nun am ersten Ziel angekommen ist. Dass die fromme Gemeinde sich mit der Seligkeit nicht zufrieden geben und auch die Heiligsprechung betreiben wird, steht längst fest.

Barock wie ein Putto

Obwohl die Phänotypen dieser beiden Männer krass gegensätzlich sind - Karl der zarte Aristokrat, Krenn rundlich und barock wie ein Putto -, so haben sie doch Grundsätzliches gemeinsam: die realitätsferne Überzeugung vom Gottesgnadentum.

Der Bischof hat sich selber als Verkörperung der Wahrheit Gottes vorgestellt und demgemäß alle Liberalisierung und Lockerung im Verhältnis von Kirche und Gläubigen als schiere Ketzerei bekämpft.

Karl, der Kaiser, hat alles Liberale, alles Republikanische und Demokratische gehasst, weil nicht in Gottes Wahrheit begründet wie sein eigenes Gottesgnadentum als Herrscher. So hat Karl nie förmlich abgedankt, hat nie die Republik Österreich anerkannt, hat 1921 in Ungarn, wo er König war, zwei Putschversuche im Rang von Operetteninszenierungen zur Wiedererlangung der Macht unternommen.

Die Realitätsferne, die man Karl bescheinigt, provoziert gegensätzliche Deutungen: Die einen sehen darin die arglose Torheit der reinen, heiligmäßigen Seele; die anderen sträfliche Dummheit.

Märtyrer, Psychopath, Narr? Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich, sagt ein oft missverstandenes Wort der Heiligen Schrift, das auf Karl gemünzt sein könnte, den Großneffen des greisen Kaisers Franz Joseph.

Als dieser 1916 starb, erbte Karl von ihm außer der Gottesgnade auch ein in seiner inneren Logik erschüttertes, in Auflösung begriffenes Großreich, den bis dahin grausamsten Weltkrieg und das tiefe Unverständnis für seine Zeit.

Karl Kraus urteilt scharf: "Gewiss, ein Monarch kann auf Regierungsdauer ein Trottel sein, das widerstreitet nicht dem monarchischen Gedanken. Wenn er sich aber auch in der Zeit, da er kein Monarch mehr ist, wie ein Trottel benimmt, nämlich durch die Art, wie er wieder ein Monarch werden möchte, so sollte man doch meinen, dass auch die Anhänger des monarchischen Gedankens ihm die Eignung hierzu absprechen müssten."

Der sensible, mit einer fragilen Psyche ausgestattete Karl begriff sehr wohl den Ersten Weltkrieg als Weltenunglück, ihn schmerzten die Millionen Toten, das Elend zu Hause.

Versuche, separaten Frieden zu machen, betrieb er hinter dem Rücken der deutschen Verbündeten so dilettantisch, dass sie scheitern mussten und Österreich erst recht an die militärdiktatorischen Berliner Befehlshaber ketteten.

Mehrere Giftgasattacken zu verantworten

Karl verantwortete mehrere Giftgasattacken an der italienischen Front mit Zehntausenden Toten. Sein Scheitern kompensierten er und Zita, seine Gattin, mit Übungen der Frömmigkeit, die in der Rückschau auch psychopathisch gedeutet werden können: In einer Art seelischem Waschzwang beichtete Karl dreimal am Tag, dreimal empfing er die Kommunion.

Die zwanghafte Religiosität steigerte sich gegen Ende seines kurzen Lebens, das 1922 im Exil auf der Insel Madeira mit nur 35 Jahren endete.

Im komplizierten Begründungsgespinst für die Seligsprechung hat auch die "bittere Armut" ersten Rang, in der Karl und seine Familie die Exiljahre hätten zubringen müssen.

Eine hübsche Armut: Villa, Park, zwölf Domestiken und Apanagen befreundeter Adliger. Fotos jener Zeit zeigen die Bevölkerung Madeiras in Strohhütten hausend, der Karls Kärglichkeit wie die Herrlichkeit des Himmels vorgekommen sein muss.

Närrisch oder fromm? Die Großen dieser Welt zeichnet wohl aus, dass ihnen Tugend und Obsession gleichermaßen innewohnen. Doch neben der Sache mit dem Giftgas tauchen in den heutigen Huldigungskonvoluten, auf die sich auch die Heiligsprechungskommission des Vatikans stützt, unappetitliche Maßstäbe auf.

So ist ihm der Erste Weltkrieg, angefangen vom Mord am Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajewo, eine Verschwörung der Freimaurer gewesen, so hat tschechischer Verrat das Ende der Donaumonarchie provoziert, so haben zum Verhängnis der Welt die Juden Kommunismus und Bolschewismus propagiert und finanziert.

Karls Hofschranzen post mortem vertreten derlei ungeniert. Aber auch sein Sohn Otto von Habsburg, ein als europäischer Einigungsprophet geachteter agiler alter Herr, ließ diese Tradition aufblitzen, als er Amerikas Fehler und Fehleinschätzungen unter Präsident George Bush vor gut einem Jahr auch damit erklärte, in der Sicherheitsadministration des Pentagon säßen nun mal die Juden und in der außenpolitischen die Schwarzen.

Als ihm das als antisemitisch und rassistisch ausgelegt wurde, empörte sich seine Anhängerschaft aufs äußerste.

Dass der Direktor des Kunsthistorischen Museums in Wien Otto von Habsburg jüngst gravitätisch als "Kaiserliche Hoheit" ansprach, ließ einiges aufwallen, denn die Habsburgergesetze verbieten derlei verbale Bücklinge.

Im Übrigen stimmt die Anrede auch gar nicht: In Wahrheit figurierte der Chef des Hauses Habsburg "nur" als Großherzog, wollte man heute noch mit den Titeln der höfischen Welt hantieren.

So hat auch das heutige, republikanische Österreich mit Karls Seligsprechung seine liebe Not. Dass ausgerechnet Parlamentspräsident Andreas Khol von der christsozialen Volkspartei, also der oberste Repräsentant der parlamentarisch verfassten Gesellschaft, zu den Kaiser-Feierlichkeiten nach Rom fährt, empört nicht nur die Opposition.

Khol suchte sich mit inständigen Beteuerungen vom Ruch des Monarchisten zu reinigen, den des Klerikalen wird er wohl nie mehr los.

Die Krampfadern der Nonne

Dabei geschieht ihm partiell Unrecht: Denn der sozialdemokratische Bundespräsident Heinz Fischer hat Khol gebeten, an seiner Statt nach Rom zu reisen, da er, Fischer, als Nichtkatholik beim besten Willen einem solchen Akt nicht beiwohnen könne.

Die Republik sieht sich indessen mit Forderungen eines Zweiges der Familie konfrontiert, das "private" Vermögen des Kaiserhauses vor 1918 zurückzugeben.

Eine schönere Unterstützung durch ihren nunmehr gebenedeiten Vorfahren Karl hätten sich die Habsburger nicht erhoffen können.

Rom verlangt für die Seligsprechung den Nachweis eines Wunders. Da gab es also 1960 eine bettlägerige polnische Nonne in Brasilien, die auf inständige Anrufung des Kaisers Karl über Nacht von ihren fürchterlichen Krampfadern befreit wurde.

Bei allem Respekt vor der persönlichen Leiderfahrung eines Mitmenschen mutet derlei Mirakel doch seltsam an.

Dem Papst reicht es als Unterpfand für Karls Seligkeit. Johannes Paul II. hat ja allein schon mehr als 470 Menschen heilig- und gut 1300 selig gesprochen - mehr als alle seine Vorgänger zusammen.

Altbischof Krenn wird nicht, wie zuvor geplant, in Conzelebration mit dem Papst die Seligsprechung am Sonntag in Rom selber mitvollziehen. In der "Kaiser-Karl-Gebetsliga" schwelt indessen schon ganz unchristlicher Streit: Wäre Krenn für die nun anstehende Heiligsprechungskampagne nicht eine Belastung? Oder ist auch er ein Märtyrer, der sogar von seiner Kirche, der seine ganze Treue gegolten hat, verraten wurde?

© SZ vom 2. Oktober 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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